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Immer weniger Jugendliche bewerben sich um eine Lehrstelle.

Foto: APA-FOTO: ANDREAS PESSENLEHNER

Tablets, Führerscheine, Reisen und Prämien: Jugendliche, die heutzutage eine Lehre beginnen, können neben der Ausbildung mit attraktiven Zusatzangeboten rechnen. Dennoch entscheiden sich immer weniger junge Menschen für eine Berufsausbildung: Insgesamt haben heuer etwa 3.000 Lehrlinge weniger als noch im letzten Jahr eine Ausbildung begonnen. Besonders prekär ist die Situation in den Branchen Tourismus, Gewerbe und Handel, wo ein Rückgang von bis zu acht Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen ist.

"Es ist schwieriger geworden, Lehrlinge zu finden", bestätigt Bettina Lorentschitsch, Obfrau der Bundessparte Handel des WKÖ, im Gespräch mit derStandard.at. "Gottseidank suchen die Leute noch nicht händeringend, aber es ist auf alle Fälle regional unterschiedlich schwieriger geworden." Früher habe sie auch unterm Jahr Blindbewerbungen von Stellensuchenden bekommen: "Das gibt’s fast gar nicht mehr. Es bedarf mittlerweile einiges mehr an Aufwand, um Lehrlinge zu bekommen."

Schlechtes Image

Die Ursache hinter dem mangelnden Interesse der Lehrlinge sei das schlechte Bild, das diese Berufe in der Bevölkerung hätten, erläutert Robert Frasch, Experte für Lehrlingsausbildung und Gründer der Plattform lehrlingspower.at: "Gerade Handel und Gastronomie haben riesige Imageprobleme. Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Jugendlichen gibt es große Probleme, die Stellen zu besetzen. Lange Öffnungszeiten, Wochenendarbeit und niedrige Gehälter schrecken viele ab."

Ein weiteres Problem: Die demographische Entwicklung. "Die Bevölkerungspyramide kennt man seit langem, aber man hat sich nicht darum gekümmert, dass immer weniger junge Leute nachkommen", erläutert Frasch die Ursache hinter dem Lehrlingsmangel. Auch wenn es im Moment noch einen Lehrlingsüberhang gebe, könne sich das rasch ändern. "Viele Unternehmen sagen, noch geht es, aber in fünf Jahren haben wir ein Problem." Das habe auch finanziell Konsequenzen: "Wenn Sie die ganzen Stellen, die derzeit mit Lehrlingen besetzt sind, von Vollzeitarbeitskräften ausüben lassen, können Sie Ihre Bilanz vergessen."

Um einen Engpass zu vermeiden, betreiben vor allem große Ketten gezieltes Lehrlingsmarketing: "Es gibt große Aufwendungen, die Leute zu überzeugen, überhaupt Lehrling zu werden", schildert Frasch. Das beschränke sich nicht nur auf Auftritte bei Messen, sondern schlage sich auch in Zusatzleistungen nieder, die den Lehrlingen in Aussicht gestellt würden. "Kaum ein Betrieb punktet noch mit der "normalen" Lehrlingsausbildung. Gefragt sind Zusatzmodule, das geht von der Sozialkompetenzentwicklung über Suchtprävention bis hin zu zusätzlichen Englischausbildungen." Neben finanziellen Anreizen für ausgezeichnete Leistungen würden auch immer mehr Unternehmen mit Freizeit punkten, so Frasch: "Das kommt teilweise sogar besser an. Da kriegen Lehrlinge zwei oder drei freie bezahlte Tage statt einer Geldprämie."

Weiterbeschäftigung

Bettina Lorentschitsch setzt in ihrem Betrieb auf den Faktor Sicherheit. "Den jungen Leuten ist nicht nur ein gesicherter Arbeitsplatz sehr wichtig, sondern auch die Weiterbeschäftigung nach der Lehre. Gerade der Handel bietet hier sichere Stellen mit guten Aufstiegschancen und der Möglichkeit, eine Position zu finden, die den eigenen Stärken entspricht.“ Sie empfiehlt Unternehmen, Lehrlinge alle Stationen im Betrieb durchlaufen zu lassen: "Da sieht man als Lehrling dann, wo seine Schwerpunkte liegen." Auch Quereinsteiger sollten vermehrt bei Bewerbungen zum Zug kommen, appelliert sich an Unternehmerkollegen: "Gerade Leute, die nicht den perfekten Lebenslauf haben, sind mitunter die besten Lehrlinge, weil sie oft wirklich genau wissen, was sie wollen, nachdem sie schon andere Dinge ausprobiert haben."

Kooperation mit Schulen

Um die Jugendlichen anzusprechen, rät das Institut für Berufsbildungsforschung zu Kooperation mit Schulen, etwa bei berufspraktischen Tagen oder Betriebsbesichtigungen, oder zu Tagen der Offenen Tür. Lorentschitsch: "Vor allem im mittelständischen Bereich sind diese Präsentationsformen wichtig. Wir haben über 90 Prozent kleine Betriebe, für die macht es Sinn, auch selber in die Schulen zu gehen und ihren Lehrbetrieb vorzustellen." Neben dem direkten Kontakt setzen immer mehr Firmen auch aufs Web 2.0: Die Möbelhändler Leiner und Kika etwa stellen Info-Videos auf Youtube, Spar lässt seine Lehrlinge einen eigenen Blog auf der Hompepage führen, und IKEA versucht mit Fotostories, die Jugendlichen für sich zu gewinnen.

Der Gang ins Netz sollte aber genau geplant werden, rät Robert Frasch. "Das Stichwort ist Authentizität. Die Unternehmen laufen sonst Gefahr, sich lächerlich zu machen." Die ideale Lehrlingswerbung besteht für ihn in der Mundpropaganda der Lehrlinge selbst. "Die Jugendlichen sind extrem gut untereinander vernetzt und erzählen sich sehr rasch, wie es wirklich beim Arbeiten läuft, da können Sie noch so tolle Imagekampagnen schalten. Gute Ausbilder geben kaum Geld für die Werbung nach außen auf, sondern motivieren ihre eigenen Lehrlinge, über ihre Kanäle selbst darüber zu sprechen, wie cool es ist, dort zu lernen."

 Ein weiterer Faktor, den Unternehmen im Lehrlingsmarketing immer wieder unterschätzen würden, sei der Einfluss der Eltern auf die Wahl des Lehrberufs. "Wenn die Werbung zu hip und zu cool ist, erreiche ich die Eltern nicht", so Frasch. Ein Interessensspagat, der nicht leicht aufgeht: "Die ganzen Kampagnen werden von Leuten um die 40 gemacht. Die Jugend tickt aber ganz anders. Die denkt nicht in unseren Sicherheitsmaßstäben, sondern hat andere Interessen, zum Beispiel genug Geld zum Fortgehen. Das Beiseitelegen machen dann eher die Eltern."

Wer Lehrlinge auch in Zukunft in sein Unternehmen holen will, ist gut beraten, auf Mundpropaganda zu setzen, sind sich die Experten einig. "Immer mehr Firmen erkennen, dass man, um diese Zielgruppe anzusprechen, jemanden braucht, der aus dieser Zielgruppe ist und diese auch versteht", sagt Frasch. Denn egal, ob über AMS, Zeitungsannonce, Web 2.0 oder Tipps von Gleichaltrigen: Karriere mit Lehre gelingt nur dann, wenn Lehrbetrieb und Lehrling auch zueinander finden. (Barbara Oberrauter, derStandard.at, 1.12.2013)