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Kinder unter drei Jahren: Wenn die Eltern keine Beschäftigung vorweisen können, bleibt ihnen Betreuung verwehrt.

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Wien - Mario H. teilt ein Schicksal mit 92.448 anderen Wienern: Er ist derzeit arbeitslos. In Verzweiflung verfällt der gut ausgebildete Mittdreißiger dennoch nicht, schließlich rechnet er fest damit, bald wieder einen Job zu finden. Rechtzeitig versucht H. deshalb, für seinen heute sieben Monate alten Sohn einen Platz in einer Kinderkrippe zu ergattern.

Ein Anruf bei der Stadtverwaltung versetzte dem Vater freilich einen argen Dämpfer. Fristgerecht wollte er sich im Herbst anmelden, um den Filius ab September nächsten Jahres in städtischer Betreuung unterzubringen - und erntete eine prompte Absage. Solange er arbeitslos sei, teilte ihm die Magistratsmitarbeiterin am Telefon unmissverständlich mit, werde sein Kind bei der Herbergssuche nicht berücksichtigt.

Kein Einzelfall

Mario H. ist kein Einzelfall, sondern Leidtragender der gängigen Praxis in Wien. Wer keine Beschäftigung vorweisen kann, ist nur dann im Rennen um einen Krippenplatz gleichberechtigt, wenn er bereits eine fixe Einstellungszusage hat oder einen Kurs des Arbeitsmarktservice (AMS) besucht. Alle anderen Arbeitslose werden während der Anmeldephase im November und Dezember erst einmal abgewiesen.

Im Rathaus begründet man die Praxis mit Platznot. Zwar sind laut Statistik Austria 34,8 Prozent der Wiener Kinder unter drei Jahren in Betreuung, womit die Bundeshauptstadt über das größte Angebot von allen Bundesländern verfügt, doch die Nachfrage ist damit offenbar nicht gestillt. "Solange wir nicht genügend Plätze haben", sagt eine Sprecherin von Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SP), "kommen jene Eltern zuerst dran, die Kinderbetreuung dringend brauchen."

"Schwachsinnige" Praxis

Dass er selbst laut städtischer Definition nicht zu dieser Gruppe zählt, leuchtet Mario H. nicht ein. "Die Stadt Wien geht wohl davon aus, dass jeder Mensch ohne Job ein Langzeitarbeitsloser ist", ärgert er sich: "Dass ich derzeit keine Anstellung habe, sagt nichts darüber aus, ob ich in einem Jahr Kinderbetreuung brauche." Doppelt "schwachsinnig" sei die Praxis, weil suggeriert werde, dass Arbeitslose nichts zu tun hätten: "Soll ich mit dem Kind im Rucksack zum Bewerbungsgespräch?"

Auch beim Wiener AMS hält man die Regelung - wie eine Sprecherin sagt - für "kontraproduktiv", weil sie die Jobsuche behindere; über die private Plattform "Kinderdrehscheibe" versuchen die Arbeitsvermittler, doch noch Krippenplätze aufzutreiben. "Das ist ein blödes Pingpongspiel", urteilt ein AMS-Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will: "Erst kriegen die Menschen keine Kinderbetreuung, weil sie keine Arbeit haben - und dann kriegen sie keinen Job, weil sie ohne Betreuung nicht Vollzeit arbeiten können."

Noch nicht alles verloren

Eine Absage im Herbst bedeute noch nicht, dass für das nächste Jahr alles verloren sei, betont man im Büro Oxonitsch. Wer in der Zwischenzeit wieder einen Job bekomme, solle sich auf jeden Fall auch außerhalb der Anmeldezeit rühren: "Es werden immer wieder Plätze frei, wenn auch nicht in großer Zahl." Der Engpass bestehe überdies nur bei den Krippen; Kindergartenplätze für die Älteren gebe es hingegen mehr, als nachgefragt werden.

Mario H. rechnet mit keiner erbaulichen Lösung. Seine Lebensgefährtin, die derzeit in Karenz ist, oder er selbst würden wohl auf den Job verzichten müssen, sagt er - "und das im sozialdemokratisch regierten Wien, das sich so gerne damit rühmt, Familie und Beruf vereinbar zu machen." (Gerald John, DER STANDARD, 10.12.2013)