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Eine Abfertigungshalle eines Flughafens als Sinnbild für die Transitzone zwischen Tod und Leben: ein zartgraues Setting für elegante Anzugträger.

Foto: APA/Monika Rittershaus

Wien - Ein Unvollendeter ist er zeit seines zu kurzen Lebens geblieben, im Werk und in der Liebe. Ein Titan auf dem Gebiet des Musiktheaters der intimsten Form, des Liedes, reüssierte Franz Schubert auf den Opernbühnen nur marginal. Im Theater an der Wien, wo zwei seiner Bühnenwerke, Die Zauberharfe und Rosamunde, uraufgeführt wurden, unternahm man nun den Versuch, sein Oratorium-Fragment Lazarus in szenischer Form zu präsentieren.

1820 hat Schubert diese "Osterkantate" verfasst; das Manuskript bricht im zweiten von drei Teilen abrupt ab. Lazarus ist zu diesem Zeitpunkt schon, mit den Worten des Librettisten August Hermann Niemeyers, fast munteren Gemüts dahingeschieden: "So heiter dacht' ich des Scheidekusses Stunde nicht." Nathanael und die Schwestern Martha und Maria standen dem Sterbenden küssend bei; Schubert, der große Weichzeichner, assistierte zumeist mit sanftwelligem lyrischem Fluss und milder Klarinettenwärme.

Wo wird heutzutage Abschied genommen, abgehoben in eine andere Welt, in die Himmel gefahren? Genau: auf Flughäfen. Also hat Claus Guth, der 2009 im Theater an der Wien bereits Händels Oratorium Messiah szenisch umkleidete, seinen Ausstatter Christian Schmidt einen "Transitraum" schaffen lassen, eine Abfertigungshalle in zartestem Hellgrau. Die Reisenden könnte von Tyler Brûlé, Stylepapst von Wallpaper und Monocle, eingekleidet worden sein. Elegante Männer und Frauen in Anzug und Kostüm, selbst das Jogginghosenpaar macht bügeleisenaffinen Gesamteindruck.

Ein bisschen Flughafenhallensound aus der Computerdatei, und schon geht' s los: Michael Boder und die Wiener Symphoniker leisten dem Todkranken liebevolle, aber etwas gleichförmige klangliche Sterbehilfe. Man bemüht sich, dessen Ruhe nicht zu stören. Die Flugpassagiere (Arnold Schoenberg Chor) gehen hin und her: Immer wenn Musik erklingt, frieren alle Bewegungen ein, was dem Fluss der Inszenierung nicht unmittelbar zuträglich ist.

Kurt Streit (Lazarus) trägt leicht an seinem beigen Anzug und schwer an einem Magenleiden, Annette Dasch (Maria) trägt einen nachtblauen Hosenanzug, trauerfallweise kombiniert mit dunkler Sonnenbrille. Stéphanie Houtzeel (Martha) zeigt Bein, Ladislav Elgr (Nathanael) ist ein Priester wie aus Dornenvögel, Cigdem Soyarslan (Jemina) eine 60er-Jahre-Stewardess in Weinrot. Vokal will die Sache nicht ähnlich gewinnend gelingen: Sprödheit herrscht vor, einzig Elgr zeigt Geschmeidigkeit.

Geschleudert in stille Weiten

Nach der Pause kommt Florian Bösch (Simon) mit Mantel und Aktenkoffer. Simon ist vom Glauben abgefallen. Schubert fährt die tiefen Streicher auf, Bösch schreitet in den rezitativischen Passagen Welten ab zwischen Gewalt und Gewimmer. Als Martha sich erregt und ihrem Bruder himmelwärts folgen will, bricht Schubert ab, und Guth lässt nahtlos Charles Ives spielen, The Unanswered Question. Ein toller Moment: so als ob alles urplötzlich durch einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum in die Weiten des Weltraums geschleudert worden wäre (Dramaturgie: Konrad Kuhn).

Es folgen Schubert-Chöre (Dreifach ist der Schritt der Zeit; Grab und Mond), einmal wird der große Überlagerer Ives überblendet mit Schubert ( Nachthelle, Jan Petryka singt das fein). Auf der Bühne driftet das Geschehen gleichzeitig angenehm ins Surreale ab. Die Choristen im Retro-Look marschieren rückwärts, gern auch mit Pianoforte und Pianisten im Schlepptau: Mad Men meets Marthaler.

Dann singt Bösch noch eines der allerschönsten Schubert-Lieder für einsame Menschen: Der Wegweiser, in der Version für Kammerorchester von Anton Webern. "Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wandrer gehen?" Zum Schluss gibt Schubert noch zu allem sein Sanctus (aus der Es-Dur Messe D 950) dazu. Der, der nie begonnen, lässt all dies mit freundlichem Applaus bedenken. Eilig, eilig, eilig, in die Nacht hinaus. (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.12.2013)