Von links: Jean-Baptiste Koffi (Cote d'Ivoire), Melaku Lissanu Dagne (Äthiopien), Sophie Sene (Senegal), Yasmine Habibatou Yabre, George Momboye (beide Cote d'Ivoire), Dickson Oppong (Ghana).

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Wien - Afrika: Armut, Hunger, politische Unruhen, Kriege, Flüchtlinge. Ja, das ist die eine, die traurige Seite des zweitgrößten Kontinents, der von mehr als einer Milliarde Menschen bewohnt wird und auf dem 2000 Sprachen in 54 Staaten gesprochen werden.

"Afrika wurde politisch destabilisiert", sagt der Ivorer Tänzer und Choreograf George Momboye, ein Pendler zwischen Welten und Kontinenten, zwischen Elfenbeinküste, Frankreich, USA und Kanada: "Aber Afrika! Afrika! zeigt den Reichtum unserer Kultur. Wir Afrikaner schaffen etwas aus dem Nichts, mit einer Handvoll Sand können wir Schlösser bauen."

70 Künstlerinnen und Künstler aus 14 Ländern, darunter zehn afrikanischen, sehen sich als Botschafter eines anderen, eines kulturell vielfältigen, lebensfrohen und selbstbewussten Kontinents - und André Hellers Show, die derzeit in der Wiener Stadthalle gastiert, als Sprungbrett in die Welt.

"Viele Österreicher wissen vermutlich gar nicht, wo die Elfenbeinküste liegt. Vielleicht schauen sie nach der Show im Atlas nach und lesen etwas darüber. Das heißt, dass durch meinen Tanz mehr Menschen etwas über meine Heimat wissen", sagt Jean-Baptiste Koffi. Er ist, wie viele seiner Kollegen, zum ersten Mal in Europa. Die Eindrücke? Gemischt.

Kühl sei es hierzulande, und damit ist nicht nur das Klima, sondern vor allem auch der menschliche Umgang gemeint. Zurückgegrüßt werde selten bis nie, sagt die Ivorer Tänzerin Yasmine Habibatou Yabre. Und Sophie Séne aus Senegal ergänzt: "Vor allem in Wien spüre ich eine gewisse Melancholie. Im Senegal grüßt jeder jeden. In Europa gibt es keine nonverbale Kommunikation, Lächeln erregt Misstrauen. Auch im Supermarkt halten die Menschen Distanz." Anders die Eindrücke von Melaku Lissanu Dagne, dem Meisterjongleur aus Äthiopien: "Ich habe das Gefühl, man ist hier extrem freundlich zu uns. Als ich heute einkaufte, gab man mir Prozente, weil man mich erkannte."

Wien, Weltstadt der Kultur

Melakku Lissanu Dagne ist, wie der berühmte, wasserspeiende "Waterman" Dickson Oppong, einer der Artisten, die auch schon bei der ersten Afrika! Afrika!-Tournee dabei waren. "Als ich 2007 das Casting schaffte, war es der Beginn meiner Karriere. Vorher habe ich nur zum Spaß jongliert, die Show machte mich zum professionellen Künstler."

Das Hobby mutierte zum Beruf, die "local african heroes" wurden zu international gefragten Festivalstars. Wien gilt Oppong als wichtigster Tour-Stopp: "Es ist die Weltstadt der Kultur. Wer hier akzeptiert wird, kann überall bestehen." Oppong lebt in Deutschland, die meisten Künstler wollen nach Afrika zurück. Koffi: "Ich kann nicht ziel- und sinnlos nur wegen des Komforts hierbleiben. Ich bin hier, um zu arbeiten, dann kehre ich nach Hause zurück. Würde ich hierbleiben, hieße das, ich würde meine Wurzeln, meine Energiequellen, abkappen."

Was sie denn nach Afrika mitnehmen werden, wenn im April die Tournee endet? Geld und Geschenke für die Familie, lautet die einhellige Antwort. Und sonst?

Zustimmendes Nicken, als Koffi den Unterschied zwischen Afrika und Europa erklärt: "Großzügiges Teilen ist wesentlicher Bestandteil unserer Kultur. In Europa lebt jeder für sich, in Afrika spüren wir große Verbundenheit mit- und zueinander. Ich werde mit meiner Gage sicherlich fünfzig Verwandte und Freunde unterstützen. Wir geben alles, das letzte Hemd, ohne etwas zurückzuverlangen. Europäer geben auch, aber sie erwarten ein Vielfaches zurück. Wir leben im Augenblick. Europäer planen immer auch für die Zukunft." Genau dies, Zukunftsplanung, sagt Momboye, sollten Afrikaner von den Europäern lernen. Er selbst denkt jedenfalls schon an die nächste große Chance für eine neue afrikanische Künstlergeneration: "Wir Künstler sind privilegiert, wir können kommen und nach Afrika zurückkehren. Doch wie viele Afrikaner sehnen sich nach einer Chance in Europa - und sterben vor der Küste Lampedusas."

Ihre Show, davon sind sie alle überzeugt, sei wichtig für das afrikanische Selbstwertgefühl - und für einen neuen Blick auf ihre Heimaten. "Ich danke Gott und André Heller, dass wir der Welt unser Talent und unsere Lebensfreude zeigen dürfen", sagt Dickson Oppong. "Und ich hoffe, das Publikum versteht unsere Botschaft: Es ist eine Liebeserklärung ans Leben." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 30.12.2013)