Christoph und Isabell Wiesner: "Wir planen unser Leben nicht. Sonst hätten wir auch keine vier Kinder."

Foto: Jürgen Schmücking

Christoph Wiesner beim Verarbeiten eines seiner Schweine: "Du gehst jeden Tag zu den Schweinen, und jeden Tag schauen sie dich gleich an und sind gleich hungrig."

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"Am Anfang waren wir die Fremden, die Studenten, die Wiener, die Bauern spielen wollen. Für die Leute war das dann schon ein bisserl ein Schock, dass das doch so aufgegangen ist", sagt Isabell Wiesner.

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Der Mangalitza-Züchter zeigt, wie's geht: "Verarbeitungskurse sind gar kein Problem. Beim Schlachtkurs stehst du ein bisserl an. Da dünnt sich die Luft aus."

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derStandard.at: Wie kommt man auf die Idee, Mangalitza-Schweinebauer im Weinviertel zu werden?

Christoph Wiesner: Keine Ahnung. Wir wissen nur, was wir uns zur Hochzeit gewünscht haben: zwei lebende Schweine. Sie hießen dann Babsi und Hannes – so wie unsere Trauzeugen.

derStandard.at: Da mussten Sie aber schon an einem Ort wohnen, an dem die Haltung möglich war.

Isabell Wiesner: Ja, wir waren schon hier in Wischathal. Wir sind von Wien direkt hierhergezogen. Christoph ist ja Wiener, ich stamme aus Kärnten. Wir hatten davor bei seinen Eltern im 19. Bezirk gewohnt, waren viel auf Reisen. Danach war aber klar: Wir wollen ein Haus. Wir … Bist du noch da?

Christoph Wiesner: Ja!

Isabell Wiesner: Danke. Das Haus war eigentlich  eine Ruine. Aus dem Dach sind die Bäume rausgewachsen. Aber irgendwie war uns bewusst: Das ist es. Anfangs war es schon schlimm, so ohne Berge und Seen, der ewige Wind und die geschlossene Bauweise der Häuser, aus denen niemand freundlich raussieht. Das Haus haben wir 1995 gekauft. Drei Jahre später kamen die Zwillinge auf die Welt.

derStandard.at: Hatten Sie die Landwirtschaft erlernt?

Christoph Wiesner: Nein, wir waren immer auf Urlaub am Bauernhof – daher kommt wohl die Verbundenheit mit der Landwirtschaft. Ich habe die HTL besucht. Und danach Bauingenieurwesen studiert. Aber: Die Landwirtschaft hat sich durchgesetzt. Das war ein schleichender Prozess bis hin zur Vollerwerbslandwirtschaft auf 30 Hektar Land.

Isabell Wiesner: Ich habe in Wien bei einem Anwalt gearbeitet, dann Landschaftsplanung studiert. Nur kamen die Kinder dazwischen. Kurz habe ich noch versucht, auf Pferdewirtschaft umzusatteln. An der Veterinärmedizin wurde ich aber mit der Begründung "zu alt und zu schwanger" abgelehnt. Ich dachte damals: Soll ich klagen oder nicht? Aber ich habe es dann sein lassen.

derStandard.at: Was macht die Faszination der Landwirtschaft aus?

Christoph Wiesner: Wir planen unser Leben nicht. Sonst hätten wir auch keine vier Kinder. Als Sohn eines Bankers lernt man nämlich, dass man erst ein Kind macht, wenn es finanziert ist. Das war bei uns nicht so. Was sich jetzt abzeichnet: Wir lassen immer mehr weg und machen dadurch immer bessere Sachen. So wie beim Ackerbau. Das Feld wird immer weniger bearbeitet, und die Folge ist, es gibt immer weniger Krankheiten bei gleichem Ertrag.

derStandard.at: Ziehen andere Bauern im Umland mit?

Christoph Wiesner: Nein, damit bist du alleine. Wenn du in der Landwirtschaft einen anderen Weg gehst, musst du Quereinsteiger sein. Bist du durch eine landwirtschaftliche Ausbildung gegangen, musst du schon charakterlich sehr stark sein, um querdenken zu können. Besuchen Sie einmal eine landwirtschaftliche Schule und schauen Sie sich die Klassenzimmer an! Da sehen Sie gleich, was die Leitbilder sind. So kommt man aus dieser ressourcenvernichtenden Landwirtschaft nicht raus.

derStandard.at: Im Ort sind Sie also eher Außenseiter?

Christoph Wiesner: Na ja. Wir haben die ersten Jahre jedem zu Weihnachten gratuliert. Das hat sich eingestellt.

Isabell Wiesner: Relativ schnell. Am Anfang waren wir die Fremden, die Studenten, die Wiener, die Bauern spielen wollen. Für die Leute war das dann schon ein bisserl ein Schock, dass das doch so aufgegangen ist. 

derStandard.at: Wie viele Tiere haben Sie derzeit?

Isabell Wiesner: 60.000, mit den Bienen.

Christoph Wiesner: 120 Schweine. Aber das ist natürlich saisonabhängig. Jetzt ist gerade Schlachtsaison gewesen.

derStandard.at: Schlachten Sie selbst?

Christoph Wiesner: Für den Eigenbedarf darf ich schlachten. Das machen wir auch. Es darf übrigens auch jeder Österreicher sich selbst ein Schlachttier kaufen. Natürlich gibt es Hygienebestimmungen und andere Rahmengesetze, die einzuhalten sind, aber jeder darf es selbst schlachten, wenn es rein für den Eigenbedarf ist. Nur bei Rindern gilt das nicht.

derStandard.at: Ich esse gern Fleisch, aber …

Christoph Wiesner: … aus diesem Grund machen wir Schlachtkurse. Wir versuchen, jedem die Möglichkeit zu geben, dass er sich ganz nahe zum Ursprung seines Fleisches hinbewegt, sprich zum lebenden Tier und das selbst tötet und verarbeitet. Du suchst das Tier aus, tötest es, und wir helfen beim Verarbeiten.

derStandard.at: Gibt es viele Interessenten?

Christoph Wiesner: Es werden mehr. Fleischverarbeitungskurse sind gar kein Problem. Beim Schlachtkurs stehst du ein bisserl an. Da dünnt sich die Luft aus.

derStandard.at: Wie sehen das die Kinder?

Christoph Wiesner: Nachdem die Kinder ihren Aufgabenbereich im Hof haben, also ihre eigenen Tiere versorgen müssen, gehört das Schlachten dazu. Der Max zum Beispiel ist für die Puten und Tauben zuständig und der Moritz für das Wassergeflügel. Die beiden sind jetzt 15. So läuft’s!

derStandard.at: Wie läuft ein Tag bei Ihnen ab?

Isabell Wiesner: 365 Tage im Jahr total unterschiedlich. Klar, ich bringe die Kinder in die Schule. Bei den Tieren ist aber wenig zu planen. Wir sind schon im Auto wegfahrbereit gesessen, auf einmal standen fünf Säue da. Da mussten wir laufen, um sie einzufangen.

Christoph Wiesner: Es gibt die Sisyphusarbeit, die täglich passiert. Das ist die Fütterung. Du gehst jeden Tag zu den Schweinen, und jeden Tag schauen sie dich gleich an und sind gleich hungrig. Das ist eine Arbeit, die sich nie erledigt. Der Rest ist jahreszeitlich bedingt.

derStandard.at: Das nervt nie?

Christoph Wiesner: Nein, es gibt nichts Schöneres als eine Sau-Herde, die schmatzt und frisst. Da kannst du dich hinsetzen, zuschauen und entspannen.

derStandard.at: Wie hat Ihr Umfeld, die Familie, diesen "Ausstieg" angesehen?

Christoph Wiesner: Na ja, mein Vater ist Banker. Ein Sohn wird Landwirt, der andere Künstler. Irgendetwas hat er offensichtlich in der Vermittlung seiner Lebensweise falsch gemacht.

Isabell Wiesner: Anfangs haben sie das als eine Art Hobby angesehen. Für den Vater wurde es kritisch, als sich Christoph exmatrikuliert hat. Da gab es eine Krisenzeit.

derStandard.at: In Wischathal ist es im Winter ab 16.00 Uhr zappenduster. Fällt einem nicht die Decke auf den Kopf?

Christoph Wiesner: Hier ist nie etwas los. Ich habe aber eher ein schlechtes Gefühl, wenn ich die Ortstafel von der anderen Seite sehe. Ich fahre sehr ungern aus diesem Ort raus. Wenn du rausfährst, hörst du nur den Schwachsinn anklopfen. Du kannst nur zuschauen, wie die Leute ihre Zeit vergeuden.

Isabell Wiesner: Dass der Ort so ruhig ist, war ja auch eines unserer Kriterien. Die Kinder können einfach raus, ohne dass man groß aufpassen muss.

derStandard.at: Ohne Auto geht nichts.

Isabell Wiesner: Ich muss sie jetzt auch schon ständig fahren. Es gibt keinen öffentlichen Verkehr. Das ist der Nachteil. Früher hat es keine Handys gegeben, und die Eltern haben auch nicht gesagt: "Komm, ich führe dich jetzt von A nach B." Es gab den Bus und das Fahrrad. Oder wir sind zu Fuß gegangen. Das ist jetzt nicht anders.

derStandard.at: Sind Sie Selbstversorger?

Christoph Wiesner: Ja, zum größten Teil. Wir kaufen kein Gemüse und keine Fleischprodukte. Wir essen auch keinen Zucker, wir haben Honig. Was kaufen wir? Milchprodukte. Einen Teil tauschen wir aber. Gewürze und Salz – derzeit sind auch Orangen im Haus.

derStandard.at: Wenn nicht geschlachtet wird, gibt’s kein Fleisch.

Isabell Wiesner: Das kann im Sommer passieren. Aber ich laufe sicher nicht zum Supermarkt und kaufe Würstel. Dann leben wir vegetarisch.

Christoph Wiesner: Wir versuchen das krampfhaft zu vermeiden.

Isabell Wiesner: Wir haben viel Gemüse eingelagert, mit dem kommen wir sicher bis März locker durch.

derStandard.at:  Bei den Milchprodukten könnten Sie doch auch umsteigen?

Isabell Wiesner: Wir hatten schon einmal Ziegen. Mein Mann tendiert aber mehr zu Kühen.

Christoph Wiesner: Ja!

Isabell Wiesner: Ich habe Schiss vor Kühen. Du willst sie noch immer, ich weiß.

Christoph Wiesner: Ja!

derStandard.at: Haben Sie das Gefühl, dass die Konsumenten genauer geworden sind?

Christoph Wiesner: Es wird besser, aber es sitzt nicht tief. Wer weiß, wie der Körper funktioniert, der muss sich selbst belügen, wenn er weiter schlechte Produkte kauft. Diesen Weg wollen aber nur wenige zu Ende gehen.

derStandard.at: Wann waren Sie das letzte Mal in einem Supermarkt?

Christoph Wiesner: Das war zu Weihnachten. Es war vier nach zwei Uhr, er hat geschlossen. Das hat mich davon abgehalten hineinzugehen. Im Ernst: In Amerika sind wir oft in einem Supermarkt, ich mag ja auch wissen, was da so los ist. Man muss sich ja informieren, warum die Leute so sind, wie sie sind. Aber brauchen? Nein, es geht so auch.

derStandard.at: Sollen die Kinder später den Hof übernehmen?

Isabell Wiesner: Keine Ahnung. Ich sage immer: Die Welt anschauen, solange es noch geht. Aber wie es kommt, so kommt es. Wenn einer den Hof übernehmen will, ist das okay. Aber es muss nicht sein. (Peter Mayr, DER STANDARD, Langfassung, 11./12.1.2014)