In Wien, dem anderen Haushalt neben dem in der Ukraine, entwickelt sich für viele Frauen ein neuer Alltag.

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Bettina Haidinger: Hausfrau für zwei Länder sein. Zur Reproduktion des transnationalen Haushalts. Westfälisches Dampfboot 2013, 30,80 Euro.

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"Mama, wir lieben dich und haben viele Sorgen um dich!", sagen die Kinder in dem Video. "Komm schnell zurück. Das ist alles und baba!" Olga ist Ukrainerin. Sie arbeitet in einem Wiener Haushalt, um Geld für ihre Familie zu verdienen. Je länger sie in Wien ist, desto seltener kommen Briefe, desto dürrer wird die Information darin. Von den Noten in der Schule würden die Kinder erzählen und vom Wetter. Die Mutter fände anderes wichtiger.

Unter dem Titel "Zwischen jetzt und dort – zwischen hier und später. Transnationale Lebens- und Arbeitsverhältnisse ukrainischer Haushaltsarbeiterinnen" wurde in der Wiener Arbeiterkammer eine Studie von Bettina Haidinger zur Situation von ArbeitsmigrantInnen präsentiert. Haidinger, seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), hat für "Hausfrau für zwei Länder sein. Zur Reproduktion des transnationalen Haushalts" mit 22 Frauen und einem Mann aus der Ukraine gesprochen, die in österreichischen Haushalten arbeiten oder gearbeitet haben. Ein Anlass, sich mit dem Land auseinanderzusetzen, sei die Umbruchssituation dort gewesen. Bereits vor zehn Jahren fand die Orange Revolution statt, mittlerweile ist der damals gestürzte Wiktor Janukowitsch wieder Präsident, und die Proteste auf den Straßen eskalieren zunehmend. Für Haidinger stellte sich die Frage: Welche Auswirkungen haben diese Umbrüche auf die dort lebenden Frauen? Welche Strategien entwickeln sie, wenn die Situation untragbar geworden ist – und wie leben sie mit diesen neuen Taktiken?

Neue Formen von Gemeinschaft

Die Gründe, warum die Frauen das Land zumindest zeitweilig verlassen müssen, macht sie in ihrem Vortrag mit schlichten, in ihrer Tristesse aber sehr einprägsamen Bildern klar. Spartanisch eingerichtete Spielplätze, verlassene Räume, ein heruntergekommenes Kino. "Was sagt uns das? Dass wenig in die soziale Infrastruktur investiert wird." Die Ukraine ist kein Sozialstaat, vieles wurde privatisiert. Dazu kommt ein Bevölkerungsrückgang, den Haidinger mit einem fast satirisch anmutenden Plakat illustriert: "Wir müssen 52 Millionen werden. Lieben wir uns!" "Die Leute in der Ukraine", sagt eine Frau namens Maria in den Interviews, "denken nicht an das Leben, sondern ans Überleben." Dabei wären die Frauen durchaus gut qualifiziert, betont Haidinger. Sie würden in Österreich dequalifiziert arbeiten, um ihren Kindern dasselbe bieten zu können, was sie einst selbst genossen hätten: eine Ausbildung, ein Studium.

Den Fokus ihres Vortrages legte sie jedoch bewusst weniger auf diese einengenden Ausgangsbedingungen der Frauen als auf die Frauen selbst und die Frage: Wie organisieren sie ihr Leben im von Haidinger so genannten transnationalen Haushalt, in ihrem "multiplen, zwiespältigen Zuhause"? Zum einen haben die Frauen nach wie vor einen Haushalt in der Ukraine. Hier stellt sich Frage nach der Betreuung der Kinder ebenso wie jene nach der Beziehung zum daheim gebliebenen Partner. Die Mütter oszillierten zwischen dem Wunsch, Kontrolle aufrechtzuerhalten, und ihrem neuen Rollenverständnis, stellt Haidinger fest. Immerhin seien es nun sie, die das meiste Geld nach Hause brächten.

Geteilte Hausarbeit in der Ukraine

Für die Kinder bleibt der Ausnahmezustand kein permanenter, sie lernen, sich selbst zu organisieren. Für die Studienautorin ein bemerkenswerter Aspekt: Das Engagement der eigenen Männer heben die Frauen oft besonders hervor – ist geteilte Hausarbeit in der Ukraine doch alles andere als selbstverständlich. "Mein Mann hat den Haushalt gemacht", erzählt etwa Kristina. "Gott sei Dank habe ich einen guten Mann. Es sind ja auch seine Kinder, meine Kinder und auch die Kinder von meinem Mann." Nur die Qualität der männlichen Hausarbeit scheint dann doch zu wünschen übrig zu lassen: "Einmal, bevor ich nach Hause gekommen bin, hat er eine Putzfrau genommen, die aufräumte. Sonst wäre ich wohl bewusstlos geworden."

Viele Frauen, erzählt Haidinger, würden sich in der Ferne aber distanzieren von ihrer Ehe, diese hinterfragen und auch wahrnehmen, was sich in Österreich für Möglichkeiten auftäten. In Wien, dem anderen Haushalt, entwickle sich ein neuer Alltag. Hier lebten die Frauen und Männer oft in Wohngemeinschaften, wo sich neue (wenn auch oft nur aus der Not geborene) Formen von Gemeinschaft und Zusammenhalt entwickelten. Obwohl aus den ökonomischen Zwängen einer neoliberalen, globalisierten Arbeitswelt heraus entstanden, ermöglicht die Arbeitsmigration den Frauen doch zumindest im Privaten, sich zu emanzipieren.

Keine Möglichkeit, sich zu legalisieren

Nach Anmerkungen des Soziologen Christoph Reinprecht über "aktuelle Forschungsprojekte zu den sozialen und kulturellen Folgen der wachsenden Ost-West-Mobilität" brachten in der anschließenden Diskussion vor allem Migrantinnen wichtige Fragen auf. Jene nach den Möglichkeiten der Frauen zu politischer Teilhabe etwa. Viele, so Haidinger, hätten sich schon 2004 im Zuge der Orangen Revolution engagiert. Auch angesichts der aktuellen politischen Lage in der Ukraine gebe es Bestrebungen, in Wien gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Auf die Frage, ob die Frauen ihre Beschäftigungsverhältnisse nicht lieber formalisieren lassen würden, gab die Antwort weniger Hoffnung: "Das sind Wünsche ans Christkind. Es ist eine Festung Europa, in der wir leben. Die Frauen haben keine Möglichkeit, sich zu legalisieren – außer zu heiraten. Da geht’s wenig um Wollen, sondern darum, sich zu arrangieren mit diesen repressiven Verhältnissen." Dass diese nie für alle Menschen gleich repressiv sind, macht am Ende eine aus der Ukraine stammende Frau deutlich. "Unsere politischen Verhältnisse, das ist keine Regierung. Es ist ein Verbrechen", sagt sie. Der Premier des Landes habe eine Villa im 18. Wiener Gemeindebezirk. Auch Verwandte von ihm würden hier leben – "und wir haben hier nichts. Das ist ungerecht. Auch von Österreich.“ (Andrea Heinz, dieStandard.at, 26.1.2014)