Hilde Sochor über ihren Sohn Paulus Manker: "Er war schon ein Gfrast ... Aber wir verstehen uns gut." - Daraufhin Manker: "Aus Rücksichtnahme, nicht aus Überzeugung." Foto: Heribert Corn

Foto: Heribert CORN

Andrea Schurian sprach mit der Doyenne des Wiener Volkstheaters. Als Zwischenrufer: Sochors Sohn, Paulus Manker.

STANDARD: Wir könnten fast Kolleginnen sein, da Sie ja Publizistik studiert haben.

Hilde Sochor: Weil ich die Aufnahmsprüfung ans Reinhardtseminar nicht bestanden habe. Und bei Misserfolgen wollte ich meistens alles hinschmeißen. Aber nach einem Semester Zeitungswissenschaften war mir fürchterlich fad, und ich habe zu Theaterwissenschaften gewechselt. Ich wollte unbedingt etwas mit Theater zu tun haben und dachte, dann werd ich halt Kritikerin.

STANDARD: Haben Sie je eine Kritik geschrieben?

Paulus Manker: Nein, so tief ist sie nie gesunken (lacht, erteilt dem Fotografen unwirsche Anweisungen).

STANDARD: So, wie Ihr Sohn mit dem Fotografen umgeht, kann man sich gut vorstellen, wie er Schauspieler behandelt.

Manker: Oh nein, das ist ganz etwas anderes! Schauspieler achte ich ja, Journalisten nicht.

STANDARD: Wie haben Sie Ihren Sohn als Regisseur erlebt?

Sochor: Ich habe nur einmal, in Weiningers Nacht, mit ihm gearbeitet, und ich muss sagen, ich habe mich schon sehr gefürchtet. Aber es war wunderbar - nach meinem Mann der beste Regisseur. Ich finde ja, das sogenannte Regietheater hat viel kaputtgemacht, die Schauspieler konnten sich nicht richtig entwickeln. Mein Mann hat immer gesagt, die Qualität eines Regisseurs liegt in erster Linie darin, aus einem Schauspieler rauszuholen, was drin ist, und zuzudecken, was er nicht hat.

Manker: Was meine Mutter meint, ist, glaube ich, das missbrauchte Regietheater. Denn Regietheater heißt ja im Prinzip nur, dass du einer Aufführung deine Handschrift auflegst. Also: Wenn das Frank Castorf macht oder Christoph Marthaler, ist es toll; bei einem dritt- oder viertklassigen Epigonen sagt man: Spiel doch lieber das Original.

STANDARD: Sie haben mehr als 300 Rollen verkörpert, die meisten am Volkstheater unter der Regie Ihres Mannes, des VT-Direktors Gustav Manker. War das schwieriger als mit einem anderen Regisseur?

Sochor: Nein, es war wunderbar! Wir haben viel gestritten - bei den Proben. Das hat sich aber privat nicht fortgesetzt. Und wenn ich ihn gefragt habe: "Wieso bist denn gar so garstig bei der Probe?", hat er gesagt: "Bei den anderen weiß ich, wie weit ich gehen kann und ab wann es nichts mehr nützt. Bei dir will ich immer, dass es noch besser wird."

STANDARD: Sie waren eine Art Blitzableiter für die anderen?

Sochor: Ja genau. Spielt die Guggi mit? Gott sei Dank.

STANDARD: Kleine Zwischenfrage: Wie wird eine Hilde eigentlich zur Guggi?

Sochor: Ich hab angeblich so schöne Guggerln ghabt.

STANDARD: Warum mögen Sie eigentlich den Begriff Volksschauspielerin nicht?

Sochor: Heute weiß ich, dass das etwas Gutes ist. Ich wollte eh nie die Maria Stuart oder die Iphigenie spielen. Aber Volksschauspielerin: Das war mir z'wider. Ich habe da immer an die Hansi Niese gedacht oder an die Annie Rosar. Das waren nicht meine Vorbilder. Aber wenn man will, kann man einen Shakespeare auch als Volksstück bezeichnen. Man spürt als Schauspieler, ob man einen Klassiker spielt. Shakespeare gehört da nicht dazu.

STANDARD: Inwiefern?

Sochor: Wegen seiner Lebendigkeit für das einfache Volk. Er ist in dem Sinn kein Klassiker, aber der größte Dichter.

STANDARD: Sie waren fast seit Beginn Ihrer Laufbahn Ensemblemitglied am Volkstheater. Wollten Sie nie wechseln?

Sochor: Nein! Ich bin ein Familienmensch. Ich wollte nicht immer an einem anderen Theater in einer anderen Stadt sein, sondern bei meinem Mann, meiner großen Liebe, und bei den Kindern. Das glückliche Leben, das ich hatte, ist in erster Linie auf mein Privat- und nicht auf das Berufsleben zurückzuführen. Ich hätte vielleicht eine größere Karriere machen können ohne Familie. Oder eine bessere Mutter sein können, wenn ich den Beruf nicht gehabt hätte.

STANDARD: Wie haben Sie Kinder und Karriere unter einen Hut gebracht?

Sochor: Wir haben natürlich ein Kindermädel gebraucht. Wobei: Wenn ich denke, wem allem ich meine Kinder anvertraut habe, wird mir ganz schlecht. Und der Paul hat überhaupt alle vergrault. Nur eine hat er sehr geliebt, die Erika. Als die wegging, hat er alle, die danach kamen, vertrieben.

Manker: Man könnte sagen, bis zum heutigen Tag bin ich grauslich zu den Frauen, damit die Erika wiederkommt (lacht). Klaus Bachler, der mit meiner Mutter seinerzeit in der Mutter Courage gespielt hat, hat mir erzählt, dass die Mama einmal die Probe abbrechen musste, weil das Kindermädel angerufen hat, dass sie sich aus Angst im Zimmer eingesperrt hat und der Paul vor der Tür ein Feuer macht und der Qualm schon durch die Tür kommt.

Sochor: Wir haben im vierten Stock gewohnt; das Kinderzimmerfenster war vergittert, aber er hat immer das Spielzeug aus dem Fenster geworfen. Einmal - und da war ich dann ganz gerührt, weil ich dachte: Er ist doch ein romantischer Bub - hat er gesagt: "Mama, ich möchte schon so gern im Himmel sein." Und wie ich gefragt habe: "Warum denn jetzt schon im Himmel?", hat er gesagt: "Was herunterschmeißen!" Ja, das war mein poetisches Kind (lacht). Er war schon ein Gfrast (...). Aber wir verstehen uns gut.

Manker (lacht): Aus Rücksichtnahme, nicht aus Überzeugung.

Sochor: Bei dir vielleicht. Bei mir nicht. Na ja, er ist ja auch gesetzter geworden.

Manker: Bist narrisch? Du kannst doch hier nicht meinen Ruf zerstören!

STANDARD: Welcher Ihrer vielen Preise ist Ihr liebster?

Sochor: Der Nestroy-Preis, weil der für eine Leistung ist. Aber Preise, mein Gott. Ich habe eine ganze Lade voll davon, aber ich habe es zum Beispiel nie geschafft, die Kainz-Medaille zu bekommen.

STANDARD: Welche Rolle hätten Sie gern gespielt?

Sochor: Das glaubt mir kein Mensch: Die Mutter im Jedermann in Salzburg. Aber ich habe mich natürlich nie drum beworben. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 5.2.2014)