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Junge Frauen wie Sudna (unten rechts im Bild) träumen vom Erfolg im Ausland.

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 Dass die Agenturen oft eine Illusion vermitteln, will sie nicht hören. 

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Die Männerstimme im Radio klingt, als verkünde sie jedem Zuhörer einen persönlichen Lottogewinn. Auch du kannst es schaffen, verspricht sie, pack deine Sachen, verabschiede dich vom Elend, in dem du lebst, du hast Besseres verdient. Es sind private Jobagenturen, die diese Werbungen in allen Sendern, in allen Zeitungen Nepals schalten.

Tolle Jobs in Katar, Dubai oder Malaysia seien nur einen Anruf bei der Telefonhotline entfernt, verkünden sie. Und jeden Tag sind es mehr Nepalesen, die anrufen - und Monate später am Flughafen von Kathmandu in eine neue Zukunft aufbrechen.

Die 30-jährige Parvati ist eine von ihnen. Ihre Söhne waren drei und fünf Jahre alt, als sie nach Kuwait ging, um dort zweieinhalb Jahre als Haushaltshilfe zu arbeiten. Das Einfamilienhaus, für dessen Sauberkeit sie allein verantwortlich war, zählte zehn Toiletten und sieben Kühlschränke. Parvati war es nur dann gestattet, sich auszuruhen, wenn auch sonst alle schliefen. "In manchen Nächten war das nicht mehr als eine Stunde", erzählt sie heute.

Die junge Frau mit dem goldenen Nasenring und dem verschmitzten Lächeln wäre gerne ein Erfolgsmodell, ein Beispiel gelungener Migration. Doch der Traum, in zwei Jahren so viel angespart zu haben, dass die Kinder einmal eine gute Schule besuchen würden, blieb unerfüllt.

Jahresgehalt für Vermittlung

Der Agent, der sie nach Kuwait vermittelt und sämtliche Papiere besorgt hatte, hatte eine Summe verlangt, die dem Jahresgehalt eines nepalesischen Kellners entspricht. Der Kredit, der dafür aufgenommen werden musste, nagt noch heute am Familieneinkommen, das schlechte Gewissen ebenso: "Beim selben Arbeitsaufwand hätte ich in Nepal mehr verdient", bilanziert Parvati.

Das Thema Migration sorgt auch in Nepal für Diskussionen. Im Jahr 2001 arbeiteten 762.000 Nepalesen im Ausland - zehn Jahre später waren es fast zwei der rund 26,5 Millionen Bürger. Während früher fast nur Männer ins Ausland gingen, sind es heute immer mehr Frauen.

43 Prozent der Nepalesen können weder lesen noch schreiben. Die eigenen Kinder sollen es besser haben, eine gute Schule besuchen können, sagen die meisten zu den Gründen, warum sie weggehen. Nepals Regierung nennt Armut und Arbeitslosigkeit als Wurzeln des Massenexodus.

Das sei nur die halbe Wahrheit, sagt Soziologin Bandita Sijapati. Was Regierungsvertreter ungern zugeben: Die hohe Emigration kommt ihnen nicht ungelegen. Jeder Nepalese, der im Ausland arbeitet, ist ein Arbeitsloser weniger - und jede Rupie, die vom Ausland überwiesen wird, schönt die Zahlungsbilanz. Das "Amt für Auslandsbeschäftigung" unterstützt bei der Emigration, bietet künftigen Haushaltshilfen Trainings an, handelt bilaterale Abkommen mit Malaysia oder Kuwait aus, um den Transfer zu erleichtern.

Eine durchschnittliche Migrantin bleibt zwei Jahre weg. Wenn sie zurückkommt, fangen die Schwierigkeiten erst an: Schulden müssen gezahlt, unangenehme Fragen ausgehalten werden.

"Eine Frau, die ohne Mann im Ausland ist, steht unter Generalverdacht", erzählt Sabitra Dhakal, Leiterin des von Care Österreich mitfinanzierten Projekts Subha Yatra, das nepalesische Arbeitsmigrantinnen unterstützt.

"Es heißt, die Frau gehe dort fremd, verkaufe ihren Körper, sei vielleicht HIV-positiv", sagt Dhakal. Viele Frauen schämten sich, zu erzählen, dass sie im Ausland waren. Es sind repressive Mythen, die sich um die zurückgekehrten Frauen ranken.

Besonders dramatisch ist das für jene Migrantinnen, die von ihren "Hausherren" in Dubai oder Katar vergewaltigt wurden. 92 Prozent der Frauen aus Nepal, die im Ausland arbeiten, sind Haushaltshilfen. Die Gefahr, dass sie sexueller Gewalt ausgesetzt sind, sei hoch, sagt Sijpati.

Wie hoch, könne nur geschätzt werden: Die wenigsten Frauen sprechen über ihre Erfahrungen. Sie schweigen aus gutem Grund: Sie habe kürzlich zwei Frauen in ein Frauenhaus in Kathmandu vermittelt, weil sie schwanger aus dem Ausland zurückgekommen seien, erzählt Asmita Tamang, Projektleiterin bei einer NGO zur Prävention von Menschenhandel. Die Frauen waren von ihren Arbeitgebern vergewaltigt worden. Zurück in Nepal, hätten sie ihre Familien verstoßen, ihre Kinder dürfen sie nicht mehr sehen.

Die 23-jährige Sudna will solche Geschichten nicht hören. Fragt man sie nach ihren Zukunftsplänen, nennt sie den Namen eines Landes und eine fünfstellige Ziffer: Malaysia, 36.000 Rupien, umgerechnet 263 Euro. So viel werde sie in Kuala Lumpur verdienen, ist Sudna überzeugt. Der Mindestlohn in Nepal liegt bei 8000 Rupien.

Aufbruch ohne Jobzusage

Sabitra Dhakal hat schon viele dieser Seifenblasenstorys gehört. "Alle sehen nur die Summen, die sie angeblich verdienen." Die Ausgaben für Miete, Flüge, Lebenskosten und die illegal hohen Vermittlerhonorare lassen die Summe schnell schmelzen. All das weiß Sudna, doch sie will es nicht hören. Ob sie schon eine Zusage habe, ein Visum, eine Arbeitserlaubnis? Sie schüttelt den Kopf. Ob sie wisse, wie es in Kuala Lumpur aussehe? Sudna verneint. (Maria Sterkl aus Kathmandu, DER STANDARD, 8.2.2014)