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Erboste Anleger fordern ihr Geld von Mt. Cox

Foto: Shizuo Kambayashi / AP

Nach dem Totalausfall einer der wichtigsten Bitcoin-Börsen erleidet die virtuelle Währung den größten Rückschlag in ihrer fünfjährigen Geschichte. Die abrupte Schließung des Tokioter Handelsplatzes Mt. Gox stürzt die Branche ins Chaos und schürt unter Profi-Anlegern wie gewöhnlichen Nutzern erhebliche Zweifel an der neuartigen Geldform.

Der Fall macht deutlich, wie groß die Risiken einer virtuellen Währung sind, die im vergangenen Jahr kometenhaft an Beliebtheit gewonnen hat, aber letztlich von niemandem reguliert wird. Anders als bei einer Bankenpleite, bei der Einlagen von einer Regierung garantiert werden, dürften Kunden von Mt. Gox kaum eine Chance haben, ihr investiertes Geld wiederzusehen.

Vorladung von der US-Staatsanwaltschaft

Wie ein Sachkenner in der Nacht zum Mittwoch verriet, schickten amerikanische Bundesstaatsanwälte noch im Februar eine Vorladung an Mt. Gox mit der Aufforderung, bestimmte Unterlagen als rechtlich relevante Dokumente zu verwahren.

Am Dienstagmorgen hatte die Börse Chaos in der Branche ausgelöst, als sie ihren kompletten Handel einstellte und ihr Internetangebot spurlos aus dem Netz verschwand. Im Laufe des Tages folgte zunächst ein Hinweis im Quelltext der Webseite, später dann eine dünne Stellungnahme.

Transaktionen

Auf der Homepage der Börse teilte Mt. Gox mit, dass „angesichts aktueller Berichte und möglicher Auswirkungen auf den Betrieb von Mt. Gox und den Markt", die Entscheidung getroffen wurde, vorerst sämtliche Transaktionen einzustellen. Dies sei notwendig, um „die Seite und unsere Nutzer zu schützen." Die Situation werde genau beobachtet und das Unternehmen werde „entsprechend reagieren."

Der plötzliche Totalausfall der Börse wurde als neue Stufe in der Bitcoin-Krise gesehen, die am Image der virtuellen Währung nagt. Online verbreiteten sich am Dienstag Dokumente, die belegen sollen, dass fast 750.000 Bitcoin von der Börse gestohlen worden seien. Das würde rund 6 Prozent aller Bitcoin entsprechen und einem Wert von rund 400 Millionen US-Dollar, auch wenn dieser aufgrund der Preisschwankungen schwer zu beziffern ist.

Absturz

Zeitweise stürzten die Bitcoin-Preise im Branchenindex Coindesk am Dienstag um mehr als 23 Prozent ab. Am Abend war ein Bitcoin rund 538 US-Dollar wert, was etwa 1,2 Prozent unter dem Kurs vom Montag liegt. Anfang November lag er noch bei 979,45 Dollar.

Die US-Justiz prüft nach Angaben von Insidern, welche rechtliche Handhabe ihr zur Verfügung steht. Sollten die Börse Mt. Gox oder ihre Angestellten in irgendeiner Form E-Mails oder Finanztransaktionen über Manhattan geleitet haben, könnten die dort ansässigen Staatsanwälte ein Verfahren beginnen – analog zu ähnlichen Finanzdebakeln in der Vergangenheit. Die Vorladung der US-Behörden, die erst in diesem Monat verschickt wurde, stammte nach Angaben einer gut informierten Person aus dem Süden von New York.

Im Krisenfall fehlt eine ordnende Instanz

Bitcoin wurde 2009 von einer anonymen Person oder Gruppe namens Satoshi Nakamoto erfunden. Es ist eine rein elektronische Währung, die mittels komplizierter mathematischer Berechnungen am Computer entsteht – dem sogenannten Mining.

Ursprünglich scharten sich vor allem Freigeister und Technologie-Freaks um die neuartige Währung. Die Anhängerschaft von Bitcoin aber wächst, weil das virtuelle Geld anonym ist, Ländergrenzen keine Rolle spielen und die Geldübertragung günstiger ist als herkömmliche Geldtransfers und Kreditkarten. Allerdings steht hinter der unregulierten Währung keine Zentralbank, und Kritiker fragen zu Recht, wer im Krisenfall intervenieren kann.

Geschichte

Vergangenes Jahr stieg der Bitcoin-Preis rasant: Lag er noch zu Jahresbeginn bei 13 Dollar, schoss er aufgrund des wachsenden Interesses von Großanlegern, Beteiligungsfirmen, Händlern und einfachen Bürgern Ende November bis auf mehr als 1.100 Dollar. Zahlreiche Hiobsbotschaften von Mt. Gox und andere Entwicklungen ließen den Preis in den vergangenen Wochen jedoch wieder heftig fallen.

Mt. Gox startete 2009 als Börse für den Handel mit Karten für das beliebte Internetspiel „Magic: The Gathering". Schon bald verlagerten die Macher ihren Fokus aber auf Bitcoin. In ihren besten Zeiten behaupteten sie, dass 80 Prozent des gesamten Bitcoin-Handels über ihre Plattform laufe.

Schließung von Mt. Gox trifft tausende Anleger

Die Schließung von Mt. Gox ist ein Schlag für tausende gewöhnliche und professionelle Anleger, die in den vergangenen Jahren Geld in Bitcoin gesteckt haben. Zu den größten Investoren gehören die Winklevoss-Zwillinge Cameron und Tyler, die durch ihren Streit mit Mark Zuckerberg über die Gründung von Facebook FB bekannt wurden. Sie haben angekündigt, einen Indexfonds aufzulegen, der den Bitcoin-Preis abbilden soll.

Ein anderer Bitcoin-Großinvestor ist der Wagniskapitalgeber und Internetpionier Marc Andreessen, der Geld in verschiedene Start-ups gesteckt hat. Weder die Winklevoss-Brüder noch Andreessen waren am Dienstag für eine Stellungnahme zur Lage bei Mt. Gox erreichbar.

Aufgabe

Erik Voorhees, der ebenfalls in Bitcoin-Start-ups investiert hat, erklärte auf Anfrage, er habe die mehr als 550 Bitcoins, die er auf Mt. Gox halte, bereits aufgegeben. Zu aktuellen Preisen hätten diese einen Wert von 300.000 Dollar. „Das ist jetzt weg", sagte Veerhoos, der in Panama City lebt. „Es gibt keine Chance, es zurückzubekommen." Wie vielen Anlegern Verluste drohen oder um wie viel Geld es tatsächlich geht, kann niemand sagen. Mt. Gox hatte in den vergangenen Monaten Handelsvolumen an konkurrierende Börsen verloren.

Grundsätzlich unterstreicht der Komplettausfall von Mt. Gox, welch große Risiken noch an virtuellen, computergetriebenen Währungen haften. Derartige Instrumente bewegen sich in einer offenen Umgebung, in der jedermann mitwirken kann, wenn er den entsprechenden Software-Code schreiben kann.

Mysteriöser, unsichtbarer Quelltext

Sämtliche Versuche, Mt. Gox für eine Stellungnahme zu der Sache zu erreichen, sind bisher fehlgeschlagen. Die PR-Beauftragte der Firma erklärte sich in einer E-Mail an das Wall Street Journal für nicht mehr zuständig und war für Nachfragen nicht zu erreichen.

Der Chefkabinettssekretär der japanischen Regierung, Yoshihide Suga, teilte auf Anfrage mit, dass Japan über die Finanzdienstleistungs-Aufsicht, das Finanzministerium und die Polizei Informationen sammelt. Er ließ durchblicken, dass zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise Schritte unternommen würden.

Einige Stunden nachdem Mt. Gox am Dienstag aus dem Internet verschwunden war, tauchte im unsichtbaren Quelltext der Webseite der Satz „put announce for mtgox acq here" auf.

Der offenbar nur für interne Zwecke gedachte Hinweis – ins Deutsche übersetzt etwa „Hier die Ankündigung für die Mtgox-Übernahme hinsetzen" – könnte auf einen möglichen Besitzerwechsel der in Japan ansässigen Börse hindeuten. Ebenfalls möglich ist, dass auf der Webseite die Börse nur zum Kauf angeboten werden soll.

Authentizität

Der in San Francisco ansässige Bitcoin-Unternehmer Ryan Selkis, der unter dem Namen „The Two-Bit Idiot" bloggt, schrieb in einer E-Mail, dass er die Authentizität des Dokuments durch mehrere unabhängige Quellen verifiziert habe. In dem Dokument heißt es weiterhin, dass Mt. Gox übernommen werden soll. Die Echtheit des Dokuments konnte nicht unabhängig überprüft werden.

Vor dem Büro in Tokios Shibuya-Distrikt versammelten sich am Dienstagnachmittag Journalisten und Anleger, darunter auch ein Londoner Bitcoin-Händler, der dort bereits seit 14 Tagen protestiert. In den Büros brannte Licht, Mitarbeiter waren aber nicht zu sehen. Einige Stunden später war das Licht in den Büros laut einem Beobachter vor Ort ausgeschaltet.

Auch Karl-Friedrich Lenz, ein Rechtsprofessor an der Aoyama-Gakuin-Universität in Tokio, stand vor dem Mt. Gox-Büro. Er machte die fehlende Regulierung der virtuellen Währung in Japan für die Misere der Anleger mitverantwortlich. „Das zeigt die Notwendigkeit, dass jemand, der Einlagen annimmt, eine Lizenz besitzt", sagte Lenz.

Wer ist verantwortlich?

Die japanischen Behörden haben bisher aber die Verantwortung für Bitcoin abgewiesen. Bitcoin-Börsen seien „kein Gegenstand unserer regulatorischen Aufsicht", hatte ein FSA-Sprecher in dieser Woche gesagt. Ein Sprecher der japanischen Zentralbank hatte sich zuvor ähnlich geäußert. Das Finanzministerium gab am Montag an, es sei nicht die Aufgabe des Ministeriums, Bitcoin und die dazugehörigen Dienstleistungen zu überwachen.

In Online-Foren machten am Dienstag wilde Spekulationen über das Schicksal von Mt. Gox die Runde. Viele rechnen damit, dass die Börse bankrott ist. Am Sonntag war Chef von Mt. Gox, Mark Karpelès, aus dem Leitungsrat des Lobbyverbands Bitcoin Foundation ausgetreten - auch das gilt ein Indiz für wachsende Probleme der Börse.

Branchenrivalen versuchten am Dienstag noch, sich von Mt. Gox zu distanzieren. Die Vorstandschefs von sechs Bitcoin-Börsen und –unternehmen kündigten am Dienstag an gemeinsam dafür sorgen zu wollen, dass Kundeneinlagen sicher seien.

Bitcoin-Befürworter sprechen von Einzelfall

In Erklärungen, die auf den verschiedenen Internetseiten veröffentlicht wurden, versuchten die Chefs der Börsen Bitstamp, BTC Canada und Kraken sowie der Broker und Bitcoin-Dienstleister Coinbase, Blockchain.info und Circle Internet Financial die Probleme von Mt. Gox als Einzelfall darzustellen.

„Dieser tragische Bruch des Vertrauens der Nutzer von Mt. Gox ist das Ergebnis des Handelns eines einzigen Unternehmens und spiegelt nicht die Widerstandsfähigkeit oder den Wert von Bitcoin und der Branche der digitalen Währungen wider", heißt es in der Erklärung.

„Es gibt hunderte vertrauenswürdige und verantwortungsvolle Unternehmen, die mit Bitcoin zu tun haben. Diese Unternehmen werden auch weiter die Zukunft des Geldes gestalten, in dem sie Bitcoin für Verbraucher und Händler sicherer und einfacher in der Handhabung machen. Wie in jeder neuen Branche gibt es gewisse schwarze Schafe, die ausgemerzt werden müssen. Und genau das erleben wir heute."

„Um das Vertrauen wieder herzustellen, dass durch das Scheitern von Mt. Gox verspielt wurde, arbeiten die verantwortungsvollen Bitcoin-Börsen zusammen und bekennen sich zur Zukunft von Bitcoin und zur Sicherheit aller Kundengelder", erklärten die Vorstandschefs. Details dazu, was die Unternehmen konkret unternehmen wollen, lieferten die Vorstandschefs nicht. (Robin Sidel, Eleanor Warnock und Michael Casey, WSJ.de/derStandard.at, 26.2.2014)