Bregenz - Die Modellregion für eine gemeinsame Schule in Vorarlberg wird es nicht so schnell geben. Weder im Nationalrat noch im Landtag findet sich eine Mehrheit dafür. "Die ÖVP ist in Bildungsfragen auf der Flucht vor sich selber", kommentiert Katharina Wiesflecker, Bildungssprecherin der Grünen, die Ablehnung eines entsprechenden Landtag-Antrags durch die Volkspartei. Die ÖVP begründet ihre Haltung mit dem laufenden Forschungsprojekt der Landesregierung. Vor dessen Abschluss sei es für eine Modellregion zu früh.

An der Basis tut sich erstaunliches

Während die Politik streitet, tut sich an der Basis Erstaunliches. "Unglaubliches bewegt sich im Land, und das noch mit sehr hohem Tempo", zollt Schulinspektor Christian Kompatscher, verantwortlich für Schulentwicklung, den zahlreichen Akteuren Respekt. Die Energie der Initiativen nähre sich aus der Vision der gemeinsamen Schule, ist Kompatscher überzeugt.

Neben rund 60 Eltern- und Lehrerinitiativen, gebündelt in der Arge Gemeinsame Schule oder der Prim, der Plattform für Reformpädagogische Initiativen & Mehr, die sich für die gemeinsame Schule engagieren, macht sich auch die Wirtschaftskammer für neue Modelle stark. Nachdem die Kammer 2012 ein Zehn-Punkte-Programm gegen den Stillstand in der Bildungspolitik präsentierte, will man nun an die Umsetzung gehen.

Leuchtturm und Vernetzung

Zwei Projekte würden zurzeit diskutiert, sagt Christoph Jenny, Leiter Bildungspolitik in der Vorarlberger Wirtschaftskammer: die Unterstützung eines Leuchtturmprojekts und die Schaffung regionaler Bildungsnetzwerke, sogenannter Verantwortungsgemeinschaften. Jenny skizziert die Idee: "Alle Akteure des Bereichs Bildung und Erziehung einer Region tun sich zusammen. Sie machen Standortbestimmungen und formulieren ihre Ziele." Seien es Eltern, Kindergärten, Schulen oder Unternehmen der Region.

Das gegenwärtige Bildungssystem sei ein Überbleibsel der Planwirtschaft, kritisiert Jenny und plädiert für Partizipation. Er sieht keine Notwendigkeit, auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts zu warten. "Unsere Überlegungen stehen nicht im Widerspruch zum Forschungsprojekt, wir möchten nur eine schnellere Umsetzung."

Strukturelle Veränderungen notwendig

Für das Leuchtturmprojekt einer neuen Schule sieht die Wirtschaftskammer die IGS Göttingen in Niedersachsen als bestes Beispiel. Die mehrfach ausgezeichnete Gesamtschule existiert seit 40 Jahren, war 2011 beste Schule Deutschlands. Kinder lernen ohne Angst und Druck in kleinen Teams. Noten sind wie die Selektion abgeschafft. Lehrer sind Begleiter, Eltern involviert.

Wolfgang Vogelsaenger, den Schulleiter, möchte die Wirtschaftskammer als Berater und Begleiter der Vorarlberger Modellschule gewinnen. Bis Herbst will Jenny eine Schule gefunden haben, die sich auf das Experiment einlässt.

Christian Kompatscher sieht die Aktivitäten der Kammer grundsätzlich positiv, merkt aber an: "Beispiele zu schaffen, die Schule der Zukunft erlebbar machen ist gut. Man darf aber dabei nicht übersehen, dass strukturelle Veränderungen notwendig sind. Es geht um die Entscheidung gemeinsame Schule oder differenziertes Schulsystem." (Jutta Berger, DER STANDARD, 3.3.2014)