Tanz um die reale Liebe und ihre Klischees.

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Linz - Fortuna ist ein Mann. Ein Dandy in weißem Anzug, der seine Zigaretten mit langer Spitze raucht. So führt Mei Hong Lin, die das Ballett am Linzer Landestheater leitet, in ihrer Tanzversion der Carmina Burana von Carl Orff das Schicksal vor. Bereits 2007 hatte sich die in Taiwan geborene Choreografin im Landestheater mit Das Haus der Bernarda Alba präsentiert. Und vergangenen Herbst feierte sie ihren Einstand als Ballettdirektorin mit Schwanengesang. Nun reicht sie eine so beeindruckende wie aufwändige Neufassung ihrer 2008 mit dem Tanztheater Darmstadt uraufgeführten Bearbeitung der Carmina nach.

Zu 19 Tänzerinnen und Tänzern gesellen sich da auf der Bühne ein Sopran, ein Tenor und ein Bariton (Mari Moriya, Matthäus Schmidlechner und Seho Chang) sowie rund 70 Sängerinnen und Sänger. Wirkungsvoll verteilt Lin dieses Personal auf der Bühne und ab und zu auch auf den drei Balkonen des Publikumsraums.

Das Bruckner Orchester Linz unter Ingo Ingensand hat sich der Carmina mit Überzeugung erfolgreich angenommen. Und Dirk Hofackers schlicht luxuriöse Bühne bietet den Darstellern funktionell wie atmosphärisch eine plausible Umgebung, in der sich die Tänzer sowohl gut eingesetzt als auch mit vollem Einsatz bewegen.

Diese Carmina Burana kommt in der Form eines in modernem Ballett umgesetzten Tanztheaters daher. Das entspricht Mei Hong Lin, die bei Pina Bausch in Essen studiert hat. Von der deutschen Tanztheater-Ikone hat sie sich einige Elemente bewahrt, die sie effektvoll einsetzt. Als Choreografin bedient sie sich allerdings einer für Bausch untypischen Diszipliniertheit, die wohl von ihrer Ausbildung im chinesischen Tanz herrührt. Typisch für Lin ist zudem eine pragmatische Sicherheit, die sich auf ihrem langen Weg durch diverse deutsche Stadttheater gebildet hat.

So kippt die große Form ihres Stücks nie ins Bombastische. Das dominierende Zeichen über den Ereignissen ist ein sich drehender Mond. Eine Irritation, da der Erdtrabant uns immer dieselbe Seite zuwendet, und ein Hinweis darauf, dass dieser Himmelskörper das berühmte Rad der Fortuna darstellt. Mei Hong Lins Schicksalsmond verwandelt sich immer wieder in einen Bildschirm, der zusätzlich verdeutlicht, worum es der Choreografin geht.

Sie richtet die Musik und den Tanz auf eine entschiedene Kritik an dem Missbrauch menschlicher Gefühle durch die postmoderne Medienmaschinerie. Immer tiefer geraten die Tänzer in Konflikte zwischen realer Liebe und deren zu Klischees geronnener Ausbeutung im Unterhaltungskommerz. Einen Ausweg bietet das nach seiner Premiere bejubelte Stück nicht. Gegen diese Liebestöter müssen wir uns selbst wehren. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 3.3.2014)