Inna Schewtschenko entschied sich als Studentin für Oben-ohne-Protest. Auf der Mariahilfer Straße bleibt das T-Shirt aber an.

Foto: Robert Newald

UniStandard: Wieso haben Sie sich mit 19, während des Studiums, entschlossen, Aktivistin zu werden?

Schevtschenko: Ein Mädchen erzählte mir auf Facebook von einer Gruppe Frauen, die sich gegen Prostitution engagieren will. Ich war damals eine sehr aktive Studentin und sehr interessiert. Beim Treffen fanden wir heraus, dass fast alle im Alltag mit sexueller Belästigung zu tun hatten – etwa auf dem Weg zur Uni. Das waren wir leid, wir wollten kämpfen. Ich kam also nicht zu einer bestehenden Bewegung, das wuchs mit uns.

UniStandard: Haben Sie sich damals mit Feminismus beschäftigt?

Schevtschenko:Gar nicht. Bis ich 19 war, kannte ich nicht einmal das Wort. Ganz lange haben wir uns nicht als feministische Bewegung bezeichnet – wir hatten Angst vor dem Wort. Während des Journalismus-Studiums hatte ich keine einzige Lehrveranstaltung darüber.

UniStandard: Wann haben Sie sich dann stärker mit Feminismus auseinandergesetzt bzw. sich als solche bezeichnet? Als die Journalisten damit begonnen haben?

Schevtschenko: Nein. Die Journalisten schreckten davor zurück, uns als feministische Bewegung zu bezeichnen. Die nannten uns immer Studierendenbewegung, auch wenn wir es irgendwann anders wollten. Es war vielleicht auch für die Journalisten eine Revolution zu sagen oder zu schreiben, dass es in der Ukraine eine feministische Bewegung gibt.

Das Bild, das ich in meiner Jugend von Feminismus vermittelt bekam, war das einer Gruppe frustrierter Frauen, die mit der Welt nicht zufrieden sind und wie Männer aussehen. Unter uns jungen Frauen hat sich aber etwas verändert. Ich möchte nicht sagen, dass alle in meiner Generation ein stärkeres Bewusstsein haben. Ich habe viele Freundinnen, die nur an die Uni gingen, um einen wohlhabenden Mann zu finden. Aber was mich und viele andere verändert hat, war die Orange Revolution. Wir waren Teenager und es war alles so wild und ungewohnt – eine Demonstration kannten wir ja nicht bisher. Die Leute unterhielten sich auf einmal über Politik – überall. Das hat mich beeinflusst. Das Buch, das mich zum Feminismus gebracht hat, ist kein Klassiker. Es ist Die Frau und der Sozialismus von August Bebel.

UniStandard: Sie sagten unlängst, Feminismus sei in der Welt von Konferenzen und Büchern steckengeblieben.

Schevtschenko: Genau. Feminismus musste wieder populärer werden. Femen steht für einen Mix aus politischem Feminismus, Erotik, Skandal und Sex. All das haben wir zu einer Frauen-Bombe gebastelt, um mit patriarchalen Stereotypen zu brechen. Viele Leute werfen uns wegen der Nacktheit vor, dass wir dem Patriarchat folgen - und nicht damit brechen. Das stimmt nicht. Femen verfolgt eine andere Nacktheit. Eine Femen-Frau ist aggressiv, sie hat eine politische Botschaft. Sie lächelt nicht – sie schreit. Sie posiert nicht – sie rennt. Und sie ist aktiv. So zerstören wir das sexistische Bild von nackten Frauen. Wir müssen vergessen, dass eine nackte Frau immer für Prostitution oder ein Sex-Model steht.

UniStandard: Was sagen Sie zu Kritikern, die Femen vorwerfen, nur viel Lärm zu machen, aber nichts zu verändern?

Schevtschenko: Wenn ich eines Tages im Parlament sitze, dann kann man mich fragen, was ich verändert habe. Aber jetzt wollen wir Probleme sichtbar machen. Lärm zu machen ist unsere Aufgabe, und wir sind gut darin. Vielleicht hört es sich eingebildet an. Aber der Beweis für unseren Erfolg sind all die Reaktionen, die wir bekommen haben. Wir wurden eingesperrt, wir wurden geschlagen, wir wurden verfolgt, wir wurden gekidnappt, wir wurden fast getötet, wir wurden bedroht – und warum? Weil wir unser T-Shirt ausgezogen haben und unsere Körper als Poster verwenden.

Auf einer persönlichen Ebene sind es vor allem die persönlichen Schicksale, die Femen und der Aktivismus verändert. Ich bin keine Prostituierte – hätte da in der Ukraine aber leicht hineinrutschen können. Ich bin auf jede Frau stolz, die bei Protesten neben mir steht, weil ich weiß, dass ihr Schicksal nicht von Sexismus gekennzeichnet sein wird.

UniStandard: Femen ist schnell gewachsen. Das kann für Bewegungen oft eine nicht zu meisternde Herausforderung bedeuten – zum Beispiel in der Entscheidungsfindung.

Schevtschenko: Es ist nie möglich, dass alle mit allem einverstanden sind. Femen ist eine politische Marke – es gibt also gewisse Standards, was eine Femen-Aktion ist und wie sie durchgeführt werden muss. Junge Aktivistinnen sollten außerdem von den erfahreneren lernen und das wird akzeptiert. Sicher gibt es immer Leute, denen das es nicht gefällt und die die Bewegung verlassen– das kann man nicht ändern.

UniStandard: Welche Rolle spielt Femen in den Protesten, die seit Ende letzten Jahres in der Ukraine stattfinden?

Schevtschenko: Femen hat diese Revolution mitausgelöst. Der erste Oben-ohne-Protest fand 2010 an dem Tag statt, an dem Janukowitsch gewählt wurde. Wir waren mit der Message „Bald kommt der Krieg – der Diktator ist da" bemalt, wurden damals aber noch ignoriert. Niemand ahnte, wie schlimm es wirklich wird. Als die Leute Ende letzten Jahres begannen auf die Straßen zu gehen waren wir  sehr glücklich. Wir waren aber auch beängstigt, als Gewalt ausbrach und Menschen starben und wir waren wütend, weil die EU so lange nicht reagierte. Bis zu einem gewissen Grad waren wir außerdem frustriert, weil wir befürchteten, dass Janukowitsch nicht geht. Als wir sahen wie Sniper eine 19-Jährige Krankenschwester erschossen, dachten wir der Typ wird nie gehen – der wird ein neuer Bashar. Wir sind glücklich, dass er jetzt weg ist, aber auch enttäuscht, weil die EU nicht früher reagiert hat.

UniStandard: Denken Sie daran, bald zurückzugehen?

Schevtschenko: Seit dem ersten Tag meiner Flucht. Es ist aber noch zu gefährlich. Ich bin besorgt, was mit der Ukraine passieren wird. Nationalistische Gruppen sind stark, rechte Ideologie auch. Das Land wird seit 20 Jahren von den gleichen Politikern geleitet. Sie behalten ihre Plätze, wechseln nur die Stühle oder Titel.

Ich werde eines Tages zurückkehren – dann vielleicht nicht als Aktivistin, sondern als Politikerin – warum eigentich nicht? (DER STANDARD, 6.3.2014)