Peter Simonischek meint, dass die Kündigungen von Udo Samel und anderen Kollegen "ein Klima der Angst erzeugt" hätten.

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Wien – In der und um die Burg herrscht immer noch Sturm, nicht nur im Kasino am Schwarzenbergplatz.wo Kate Mitchell ein anderes Handke-Stück, "Wunschloses Unglück"  (zu) teuer und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt inszenierte: Finanzdebakel, Rechnungshofsprüfung, Sparprogramm, Kündigungen, Krisensitzungen, Misstrauensantrag des Burgtheater-Ensembles gegen den Chef. An einigen Krisensitzungen nahm auch Peter Simonischek teil. Den Misstrauensantrag hat er allerdings nicht unterschrieben, weil er zu dieser Zeit in Berlin war. Ob er ihn unterzeichnet hätte, wäre er in Wien gewesen? Vielleicht. Vermutlich aber auch nicht.

STANDARD: Verstehen Sie den Misstrauensantrag?

Simonischek: Ja, das Ensemble wollte sich formulieren, nicht wie eine Schafherde im Regen stehen. Aber bei dem Misstrauensantrag ging es sicher nicht darum, den Kopf des Intendanten zu fordern. Mittlerweile ist eine gewisse Besinnung eingetreten – im Ensemble; in der Öffentlichkeit allerdings genau das Gegenteil. Jetzt kommen dann auch noch die Aasfresser aus Hamburg, Intendanten melden sich zu Wort, jeder gibt seinen Senf dazu. Unser Interesse, also das des Ensembles, sollte sein, diese Institution und ihr Niveau zu schützen. Österreich ist ein kleines Land, das Burgtheater ist identitätsstiftend. Kultur ist etwas Kostbares, der höchste Ausdruck unseres Menschseins. Jeder Mensch, auch derjenige, der nicht ins Theater geht, braucht eine Gesellschaft, für die Kultur etwas bedeutet. Es ist unpopulär, das zu sagen, aber wenn das Burgtheater weiterhin europaweit in der ersten Liga mitspielen soll, muss man es finanziell ordentlich ausstatten.

STANDARD: Muss denn Theater viel kosten, damit es gut ist?

Simonischek: Bestimmt nicht. Wohl aber, wenn es einen Bildungs- und Kulturauftrag erfüllt wie die Burg. Jetzt werden Neiddebatten geführt, Kindergärten, Schulen, kleine Theater – alles wird gegeneinander ausgespielt. Ich hoffe, Kulturminister Josef Ostermayer ist sich im Klaren darüber, dass es mehr als todtraurig wäre, würde man diese Kulturinstitution durch ein Sparprogramm zu einem Stadttheater zurückzustutzen. Es gibt Intendanten, die sich in ihre Verträge mit anderen Häusern hineinschreiben lassen, dass sie vorzeitig aussteigen dürfen, falls das Burgtheater ruft.

STANDARD: Ist es nicht gewagt, in einer Zeit, da gerade geklärt wird, ob die Buchhaltung kriminell oder doch nur "kreativ" war, mehr Geld zu erwarten?

Simonischek: Was heißt kriminell? Alles, was den Betrieb am Laufen gehalten hat, selbst wenn es buchhalterische Todsünden waren, würde ich nicht als kriminell bewerten. Nun wird ja geprüft und geprüft, auch vom Rechnungshof. Der wird in vier, fünf Jahren einen Bericht abliefern, und dann wird man wissen, was diese Misere verursacht hat: Verschwendungssucht von Hartmann oder doch die Hypotheken von früher. Man weiß man ja, dass es immer schon eine gewisse Mühe gekostet hat, die schwarze Null zu erreichen, und dass Silvia Stantejsky diese Art der Buchführung nicht erfunden hat. Seit 14 Jahren wurde die Indexsteigerung nicht mehr abgegolten, und die Subventionen, die ja mit 46 Millionen Euro nicht gering sind, haben sich quasi selbst aufgefressen: 80 Prozent des Budgets sind Personalkosten, 20 Prozent bleiben für künstlerische Belange. Ich bin kein Zahlenmensch, aber auch mir ist klar: Da gibt es wenig Sparpotenzial – es sei denn, man entlässt Menschen.

STANDARD: Das hat Hartmann ja auch getan und zuletzt Udo Samel gekündigt.

Simonischek: Entsetzlich! Und unklug! Vermutlich war es eine Panikreaktion, um ein Sparziel zu erreichen. Diese dem Ensemble unverständlichen Kündigungen haben ein Klima der Angst erzeugt. Ich bin traurig, dass alle meine Schaubühne-Kollegen – Corinna Kirchhof, Michael König und eben mein bester Freund am Theater, Udo Samel – entlassen wurden. Hartmann hat ja mich als einen der Ersten gekürzt und in Rente geschickt. Ich spiele genau so viel wie früher, kriege aber weniger Geld. Ich bin also schon ein Sparfaktor.

STANDARD: Das Ensemble hat Minister Ostermayer um Hilfe gebeten, die Opposition drängt ihn, Hartmann zu feuern. Was erwarten Sie sich von der Politik?

Simonischek: Ich finde diese Rücktrittsrufe der Opposition verhängnisvoll. Ostermayer hat von Tabula rasa gesprochen, das hat zwar einen gewissen gewalttätigen Beiklang, unter Umständen kann am Tischrand auch der eine oder andere Kopf abrasiert werden. Aber an sich heißt das nichts anderes wie "reinen Tisch" machen. Und dagegen ist ja nichts zu sagen, wenn man sich dessen bewusst ist, dass man auf diesem Tisch wieder ein erstklassiges Menü auffahren lassen will.

STANDARD: Sind, um in diesem Bild zu bleiben, Hartmanns Menüs erstklassig?

Simonischek: Sein Fehler war, als er bei seinem Antritt sehr selbstbewusst sagte: "Sie haben das Beste gewollt, Sie kriegen das Beste". Da kannte er die österreichische Verfasstheit noch nicht. So etwas macht bei uns Österreichern Eindruck – aber wehe, wenn er angreifbar wird! Dann vergönnt man dem Piefke von Herzen, dass er auf die Schnauze fällt. Aber es ist doch so: Nur der Walfisch, der auftaucht und mächtige Fontänen in die Luft bläst, wird harpuniert, nicht der, der still unter Wasser bleibt. Wer sich zeigt, wer sich deklariert, wer – auch im falschen Moment – auftaucht, ist angreifbar.

STANDARD: Wie schwierig ist es, in diesen rumpeligen Zeiten abends auf der Bühne zu stehen und zu spielen?

Simonischek: Wir sind bedrückt. Man merkt, dass ein Trauerflor über der Sache liegt. Ich habe in Schnitzlers "Das weite Land" einen Satz in Erinnerung, der auf unsere Situation passt: "Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht. Aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos." Auf Buchhaltung umgelegt, ist das verhängnisvoll. Aber für die künstlerische Arbeit ist das Chaos eine wertvolle Komponente. An den Theatern, an denen ich bisher war, hießen alle Verwaltungsdirektoren immer mit Spitznamen "Dr. Gehtnicht". Nein zu sagen ist ihr ureigenstes Anforderungsprofil. Der Leitsatz für den künstlerischen Bereich heißt hingegen: "'Geht nicht' gibt's nicht". Wenn nun, wie im Falle Stantejsky, die vorher Personalchefin und alles ermöglichende Seele des Theaters war, das ""Geht nicht' gibt's nicht" auf den Posten des "Dr. Gehtnicht" kommt, ist die Katastrophe schon vorprogrammiert.

STANDARD: Teilen Sie die Kritik Ihres Kollegen Johannes Krisch, der unlängst als Titus Feuerfuchs im "Talisman" auf der Bühne Hartmann sehr offen kritisiert hat, als einen "Künstler, der auch noch g’schwind inszeniert"?

Simonischek: Hartmann inszeniert viel, das stimmt. Und vielleicht ist nicht alles oberste Spitze, aber dafür hat er höhere Auslastungen und bringt mehr Publikum ins Haus. Man kann eben nicht alles haben. Und er lässt auch Frank Castorf, Katie Mitchell, Alvis Hermanis, Peter Stein und hoffentlich bald wieder Andrea Breth, hier inszenieren.

STANDARD: Wie ist jetzt die Stimmung im Haus?

Simonischek: Konstruktiv. Hartmann hat angeboten, gemeinsam mit dem kaufmännischen Direktor alle zwei Wochen einen Jour fixe abzuhalten, bei dem alle Fragen auf den Tisch kommen. Peter Matić hat sich bereiterklärt, als eine Art Mediator zwischen Ensemble und Direktion zu fungieren. Hartmann scheint Transparenz jetzt wirklich ernst zu nehmen. Vielleicht war die ganze Sache ja ein heilsamer Schrecken für ihn, und er hat Entscheidendes gelernt. Manchmal denke ich, es ging ihm, als er hier anfing, so wie jemandem, der eine Eigentumswohnung kauft und das Kleingedruckte nicht liest. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 8.3.2014)