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Nur an der Außenfassade wird am Küniglberg an einem neuen Erscheinungsbild des ORF gearbeitet: Die Regierung weigert sich, das Versprechen einer Senderreform anzupacken.

Fotos: APA, Urban

Die Redakteursvertretung fordert seit langem die Verkleinerung, Professionalisierung und parteipolitische Unabhängigkeit der ORF-Aufsichtsgremien, also des Publikumsrats und vor allem des Stiftungsrats.

Aber unsere Forderungen seien "undemokratisch" - das sagt, ganz frei von Ironie, ein SPÖ-Spitzenpolitiker in einem zufällig zustande gekommen Vieraugengespräch. Denn schließlich seien die Parteien die Träger der Demokratie und müssen daher in den ORF-Gremien vertreten sein, so der SPÖ-Politiker.

Dabei war die Regierungsspitze vor fast zwei Jahren für diese "undemokratischen" Forderungen noch durchaus zu haben. Offenbar beeindruckt vom Aufstand der ORF-Journalisten gegen die geplante parteipolitische Besetzung des Bürochefs in der Generaldirektion mit dem Leiter des SPÖ-"Freundeskreises", kündigt Vizekanzler Spindelegger eine "gewaltige Reform" an. Und Bundeskanzler Faymann sagt im April 2012: "Die Österreicher wollen in erster Linie einen unabhängigen ORF. Das werden wir wohl hinkriegen."

Leider nein. Denn zwischen Reformankündigung und Neubestellung des Stiftungsrats wurde im September 2013 der Nationalrat neu gewählt. Für die Verluste von SPÖ und ÖVP haben die Parteisekretariate schnell einen Schuldigen gefunden: den ORF. Der habe nämlich in seinen Sendungen die Opposition zu viel zu Wort kommen lassen.

Aus dem angekündigten großen Wurf ist nicht einmal ein Reförmchen geworden. Selbst zu einer Minireparatur des ORF-Gesetzes konnten sich die Regierungsparteien bisher nicht durchringen. Dabei hat ein Spruch des Verfassungsgerichtshofes zur Fax-Wahl des Publikumsrates aus dem Jahr 2011 (!) dies eigentlich notwendig gemacht.

Am 24. April soll der neue Stiftungsrat erstmals zusammentreten. Nach dem alten Gesetz - das wirft nicht nur für Medienrechtsexperten viele Fragen auf.

Und was passiert sonst? Offenbar nichts. Alles soll bleiben, wie es ist. Die Parteien bestimmen weiterhin, wer in den ORF-Aufsichtsgremien sitzt - als Vertreter von Regierung, Bundesländern und Parlamentsfraktionen. Eine Verhöhnung für alle, die an die Versprechen der "Reform-Regierung" geglaubt haben. Öffentliche Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich? Fehlanzeige.

Mitbestimmung des Publikums bei der Wahl der Gremien? Wo denken Sie hin?! Der Stiftungsrat agiert im Stillen. Sitzungen sind nicht öffentlich, das Protokoll geheim. Transparenz? Nicht bei uns.

Der alte ORF-Stiftungsrat besteht aus 35 Mitgliedern. Gerade einmal vier davon gelten als politisch unabhängig. Der Rest stimmt meist geschlossen so ab, wie das in den "Freundeskreisen" der Parteien zuvor besprochen wurde. Keine Partei und kein Bundesland will auf den "eigenen" Stiftungsrat verzichten, denn der sichert Macht und Einfluss. Am Beispiel der Bundesländer: Das ORF-Gesetz gewährt dem Landeshauptmann ein anachronistisches "Anhörungsrecht" bei der Bestellung des Landesdirektors. De facto ein "Bestellungsrecht" - denn gegen den Widerstand eines Landeshauptmanns wird in der Praxis nicht besetzt.

Hinter verschlossenen Türen

Die Besetzung des Stiftungsrates ist kein demokratischer Prozess, an dem sich das ORF-Publikum beteiligen kann, sondern wird hinter verschlossenen Türen ausgemacht. Dabei geht es nicht um die Auswahl der besten - und unabhängigen - Köpfe, sondern um die Zusammenstellung eines Gremiums, über das die Parteien Einfluss auf den ORF nehmen wollen. Wie das geht?

Der ORF-Generaldirektor braucht für jede größere Entscheidung den Segen des Stiftungsrates. Eine Abstimmungsniederlage in diesem Gremium kann sich kein Generaldirektor leisten. Also werden im Vorfeld wichtiger Entscheidungen Meinungen der Parteien eingeholt. Häufig muss dafür "Überzeugungsarbeit" geleistet werden. Etwa indem "Personalpakete" geschnürt werden. Die Parteien fordern Posten für ihre Vertrauensleute. Und ganz nebenbei wird der Generaldirektor mit der Absetzung bedroht - denn eine Reform des ORF-Gesetzes könnte dazu genutzt werden, seine Funktionsperiode zu beenden.

Selbstverständlich sind die Parteien wichtig für die Demokratie. Doch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ihr Einfluss überproportional. Denn in der Verfassung steht ganz klar, dass die "Unabhängigkeit der Personen und Organe" gewährleistet sein muss. Der starke Einfluss der Parteien im Stiftungsrat widerspricht also der Verfassung und spiegelt weder die politische noch die gesellschaftliche Realität des Landes wider. Die Zeit, in denen SPÖ und ÖVP mehr als 90 Prozent der Wähler auf sich vereinigt haben, ist lange vorbei.

Wenn der ORF der Rundfunk der Gesellschaft sein soll, dann müssen auch die jeweils besten Köpfe in den wichtigen Funktionen sitzen. Es mangelt auch hierzulande nicht an unabhängigen Experten. Auch auf internationale Expertise könnte zurückgegriffen werden, wenn der Gesetzgeber das wollte: Was spricht dagegen, etwa die Chefin der European Broadcasting Union (EBU), Ingrid Deltenre, in den ORF-Stiftungsrat zu holen? Wohl nur, dass sich Politiker lieber Gefolgsleute hineinsetzen, die im Zweifel ihre Interessen im ORF statt die Interessen des Publikums vertreten.

Die ORF-Redaktionen von Radio, TV, Online und Teletext bemühen sich täglich, die besten Informationsprogramme zu gestalten. Generaldirektor und Fernsehdirektorin lassen die ORF-Journalisten in Ruhe arbeiten - und müssen deswegen regelmäßig in der Zeitung von ihrer baldigen Ablöse lesen. Wir Redakteure haben uns eine Unabhängigkeit erkämpft, die wir nicht mehr aufgeben werden. Diese Unabhängigkeit sollte aber kein täglicher Kampf sein, sondern die von einem unabhängigen Stiftungsrat geforderte und geförderte Selbstverständlichkeit. Auch wenn sich die Parteien noch so sehr bemühen, ihren Einfluss auf den ORF nicht zu verlieren. Denn die meisten Politiker wollen vom ORF vor allem eines: möglichst oft und möglichst gut vorkommen. Es gibt kein merkbares Interesse der politischen Parteien an einem unabhängigen ORF. Das wird gerade von der Regierung eindrucksvoll bewiesen. Mit einer umfangreichen Nichtreform der ORF-Gremien und des ORF-Gesetzes - und das ganz ohne öffentliche Diskussion darüber. (Dieter Bornemann, Kommentar der anderen, DER STANDARD, 12.3.2014)