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Grete (C. Sabitzer) betört als Erzählerin.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Zu den vitalsten Geschöpfen des Brachialdramatikers Werner Schwab (1958-1994) zählen Die Präsidentinnen. Jede der drei Damen bildet eine Welt für sich. Erna hegt starke Empfindungen für ihren Fleischhauer. Die sexuelle Liebe würde sie jederzeit gegen die christliche eintauschen. Grete lebt in eheähnlicher Gemeinschaft mit ihrem Dackel Lydi. Ihr Schwarm wäre der blonde Volksfestmusiker Fredi. Der, malt sie sich aus, würde ihr wider alle Gepflogenheiten einen Finger ins Gesäß stecken.

Die jüngste dieser Substandard-Existenzen heißt Mariedl (Martina Stilp). Sie ist im Wiener Volkstheater, wo Milos Lolic Schwabs Dramenerstling inszeniert hat, ausgerechnet die mondänste der drei Damen. Ihr ganzes Lebensglück steckt im Abflussrohr hinter der Abortschüssel. Ohne Zuhilfenahme eines Plastikhandschuhs fördert sie von dort allerlei Köstlichkeiten zutage. Schwabs ingeniöse Deklamationsoper fischt im Trüben. Sein Stück ist zugleich herzzerreißend und herzzerreißend komisch.

Mit Ödön von Horváth teilte Schwab die sichere Handhabung des Kolorits. Sein Gehör war scharf eingestellt. Sein brennendes Interesse galt den Langzeitfolgen sozialer Deklassierung.

Lolics Grundidee ist bestechend. In drastischer Verkehrung der Verhältnisse besorgt er den drei Schmuddelschwestern einen großen Bahnhof. In weißen Frotteemänteln entern Katja Kolm (Erna), Claudia Sabitzer (Grete) und eben Stilp die Bühne. Ihre drei Stimmen vereinigen sich noch öfter am Abend zu süßestem Gesang. Die Stufen einer Showtreppe ragen hoch, eine Fototapete spiegelt den Zuschauerraum wider (Bühne: Hyun Chu).

Die drei Deklassierten sind Showgirls. Die Spuren unterschichtspezifischer Vernachlässigung lassen sie hinter Wolken von Haarspray verschwinden. Aufpoliert wird das Selbstwertgefühl. Das Trio hält sich strikt an eine Art Arbeitsteilung. Die reife Erna gibt das strenge Über-Ich. Als besonders verwerflich erscheinen ihr "die unteren Wörter" und "der echte Stuhl", von der Trunksucht ihres Sohnes zu schweigen.

Grete mildert die angeborene Herbheit mit Proben von Siebensüßigkeit. Mariedl ist das flackernde, unschuldige Aufbegehren. Alle drei eint die Liebe zu seidenen Abendkleidern und zu halbseidenen Ansichten. Geliefert wird im Wiener Volkstheater große, nuancenreiche Schauspielkunst. Auch wenn man Die Präsidentinnen noch nie so schwelgerisch gesehen hat. Verblüffter Applaus für drei Klo-Unken, die sich als Nachtigallen verkleiden. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 24.3.2014)