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Hans Gratzer

Foto: APA/Jäger
Wien - Am 10. September sperrt das Theater in der Josefstadt wieder auf. Die Fassade wird ein riesiges, zehn Meter hohes Bild zieren, das Johann Nepomuk Nestroy bei seinem Amtsantritt als Theaterdirektor zeigt. "Bisher ist man ja am Haus vorbeigefahren und ist nicht draufgekommen, dass es ein Theater ist", sagt Hans Gratzer. Das hat der neue Hausherr gleich vor Beginn seiner ersten Saison geändert. Außerdem gibt es zwei große Leuchtkästen für Ankündigungen. Wird das Stammpublikum sein Haus also nicht mehr wiedererkennen? "Sie werden es verstärkt wiedererkennen", versichert Gratzer. "Wir betonen vor allem die Dinge, die bereits da sind."

"Da gibt es 19.700 Menschen, die ich froh machen will"

Das traditionsreiche Theater in der Josefstadt hat den größten Abonnenten-Anteil aller Wiener Theater. Diese Besucher gilt es, bei der Stange zu halten. "Da gibt es 19.700 Menschen, die ich froh machen will", hat sich der Nachfolger von Helmuth Lohner vorgenommen. Das beginnt bei Äußerlichkeiten: "Es wird Blumen geben, und es wird duften. Der ganze Vorgang des Theatergehens soll als barockes Fest beginnen. Wir werden uns öffnen, Selbstbewusstsein zeigen, freundlich sein." Die historischen Sträußel-Säle sollen zum "Treffpunkt für davor und danach" werden.

Der Orchestergraben wurde im Sommer geöffnet. "Das Haus hat ja eine Geschichte, in der Musik eine wesentliche Rolle gespielt hat. Wenn es ein Mozart-Haus in Wien gibt - von der Atmosphäre her, der Tradition und Fantasie, dann ist es die Josefstadt!" Musik spielt schon bei der Eröffnung am 11.9. (tags zuvor gibt es schon eine Voraufführung als Benefizvorstellung für die Cliniclowns) eine wichtige Rolle. Adolf Bäuerles Zauberposse "Aline oder Wien in einem anderen Weltteil" ist "eine ganz bezaubernde ironische Liebeserklärung an Wien, mit viel Musik und Körperlichkeit" (Gratzer).

Weitere Aufführungen

Nach Bäuerle folgen in der Josefstadt Nestroy ("Mann, Frau, Kind"), Grillparzer ("Der Traum ein Leben") und Raimund ("Der Alpenkönig und der Menschenfeind"). Dann sollen die Zuschauer ein Bild bekommen haben, wohin Gratzer mit der Josefstadt will: "Das sind dann vier Stücke, die mit dem neuen Signet zu tun haben, mit dem Theater der Aufklärung in mannigfaltiger Wildheit und Verrücktheit und dennoch mit größter Nähe zur Realität."

Der neue Direktor, der am Wiener Schauspielhaus noch für eine ganz anderes Theateridee stand, gibt sich als sanfter Revolutionär: "Natürlich bekommen die Zuschauer schon ihre gewohnten Autoren - aber nicht in der Weise, wie sie es gewohnt sind. Sie werden natürlich Interpretationen bekommen, aber sie werden sagen: Klass', ich kann über das Stück nachdenken, nicht über das Konzept." Deswegen ist auch geplant, alle Stücktexte in den Programmen abzudrucken. Gratzer weiß, dass seine Pläne auch auf Kritik gestoßen sind. "Das ist kein Zurück ins Biedermeier", sagt er deshalb, "Wir machen Theater zum Nachdenken - nicht zum Ärgern. Es wird intelligent und lustvoll und sinnlich und offen."

"Es wurden ganze sieben Abos abbestellt"

"Ich hab mir nie etwas anderes vorgestellt als dieses Theater", macht Hans Gratzer der Josefstadt eine Liebeserklärung. Erfreut stellt er fest, dass seine Liebe erwidert wird. Vom Stammpublikum ("Es wurden ganze sieben Abos abbestellt - und viele, viele sind dazugekommen.") und von der Mannschaft des Hauses: "Ich wusste nicht, was mich erwartet: Dass dort ein Betrieb ist, der versucht, alles möglich zu machen. In den Werkstätten lesen sie dir die Wünsche von den Augen ab!"

Wünsche hat der neue Hausherr durchaus: Die neue gemeinsame Bühnenlösung der ersten Produktionen etwa, die "sehr einfach aussieht, aber höchst kompliziert ist": "Es geht um eine gemeinsame Ästhetik. Heute so und morgen so - das will ich nicht. Doch gleich Arlaud (der Regisseur der Eröffnungspremiere, Anm.) macht was anderes. Es kommt eben immer anders als man denkt, und das ist ja auch gut so."

"Ich bin natürlich der Gleiche. Aber die ganze Theatersituation hat sich geändert"

Die finanziellen Altlasten wurden beseitigt ("Das Haus wurde schuldenfrei übergeben. Da ist Unglaubliches geleistet worden."), das Theater in der Josefstadt kann unbelastet in eine neue Ära starten. Mit den beiden Kammerspiel-Produktionen ("37 Ansichtskarten" von Michael McKeever und Klaus Pohls "Kanari") gibt es im September bereits vier Premieren, die mit Spannung erwartet werden.

Schließlich kann sich noch niemand so richtig vorstellen, wie das zusammenpassen soll: Hans Gratzer, der am Schauspielhaus zwei Generationen von Theatergehern mit spannendem, zeitkritischem, aktuellem Gegenwartstheater vertraut gemacht hat - und die alte Tante Josefstadt. "Ich bin natürlich der Gleiche. Aber die ganze Theatersituation hat sich geändert", blickt der Theatermacher auf die achtziger und neunziger Jahre zurück: "Peymann, der das Burgtheater zur größten Experimentierbühne deutscher Zunge machen wollte, wollte mein Publikum - und hat"s gekriegt. Ich hab dann versucht, in extrem junges Theater zu flüchten - und bin gescheitert. Dann kam Oper, Musiktheater. In der Zwischenzeit stehen sie ja alle an der Wand."

Zurück auf Los

Sein Rezept für die Josefstadt: "Wir müssen wieder ganz von vorne beginnen, um zu begreifen, was Theater ist. In einer Zeit, in der alles zerredet wird, muss ein Theater wieder eine Haltung und Würde bekommen. Das klingt konservativ, ich weiß, aber lassen Sie sich überraschen." Schon am 18.9. präsentiert sich Gratzer selbst seinem Publikum mit Nestroys "Mann, Frau Kind" auch als Regisseur: "Ich fürchte eher, dass ich zu streng bin, dass den Leuten mein Nestroy zu hart ist."

Ob sein Josefstadt-Konzept aufgehen wird, lässt sich vom Papier her nur schwer beurteilen. Über Sieg oder Niederlage wird auf der Bühne entschieden. Das weiß auch Hans Gratzer: "Ich bin selbst der Neugierigste." (APA)