Salzburg - Wie zu erwarten, wird der neue Salzburger Festspielzyklus "Passagen" vom Publikum weniger gestürmt als die ohrenschlüpfrigen Programme. So hielt sich der Andrang der "Passagiere" sogar auf der Perner-Insel in Hallein in Grenzen, wo die Festspiele gar mit einer Stockhausen-Uraufführung lockten.

Der Guru der vergangenen Gegenwart verkauft sein vor 26 Jahren begonnenes, Licht genanntes musiktheatralisches Monsterprojekt, das eine mystisch-kosmische Deutung aller Wochentage darstellen soll, nicht ungeschickt scheibchenweise. Für Salzburg hat er nun eine mit dem Etikett DÜFTE - ZEICHEN versehene 45-Minuten-Szene aus Sonntag angefertigt, zu der auch die Kunststiftung Nordrhein-Westfalen dazuzahlt.

Da stehen nun zwei Damen und vier Herren in fernöstlichen Gewändern jeweils auf einem von sieben im Halbkreis angeordneten Podesten und sollen schön der Reihe nach die sechs Werktage der Woche symbolisieren. Jede(r) lässt unterschiedliches Räucherwerk aufdampfen, sodass es bald wie in einem DritteWelt-Laden muffelt.

Danach setzen sie allein oder auch zu zweit und zu dritt zu apokryphen Vokalisen wie etwa "naka, naka, naka, sahage, mugwort" an, die sie mit Gebärden begleiten. Dazu erklingen recht einfach strukturierte synthetische Klänge, die der Meister am Mischpult höchstpersönlich aussteuert.

Ganz zum Schluss erscheint noch die den siebenten Tag der Woche symbolisierende Frau Sonne im orangeroten Gewand. Nach deren Zwiegesang mit einem weißen Knaben verduftet die Schar der Mitwirkenden, und das Publikum erhält Gelegenheit, nach 20 Minuten Pause diese stark an die Rituale esoterischer Sektierer erinnernde Szene nochmals zu inhalieren.

Da war die Passage durch das Schaffen des hierzulande kaum bekannten Griechen Jani Christou (1926-1970) wohl von weit größerem Interesse. In Heliopolis (Ägypten) geboren und in Alexandria aufgewachsen, scheint sein Bezug zur Mystik glaubwürdiger. Nicht zuletzt, weil er sich nicht exhibitionistisch produziert, sondern in musikalische Strukturen integriert scheint. Christou hält etwa in seiner Praxis for 12 für Streicher und Klavier, ganz besonders aber auch im monumentalen Orchesterwerk Enantiodromia eine kühne Balance zwischen Ordnung und Chaos.

Fast könnte man von einer Emanzipation des Chaos als Ordnungselement sprechen, wie sie nur aus mystischen Erfahrungen, gepaart mit einer genauen Kenntnis der aktuellen Kompositionstechniken seiner Zeit vollzogen werden konnte. Steigert sich im erwähnten Orchesterstück die Spannung aus dem Bereich des Unhörbaren bis zur ekstatischen Revolte der Musiker, während derer diese die Noten zerfetzen, den Dirigenten attackieren und der Primgeiger seine Instrument zerdrischt, so weist sich Christou in seinen Six Songs on Poems by T. S. Eliot als wahrer Meister der Textdeutung aus.

Anne-Carolyn Schlüter, das Ensemble Spinario und das Wiener Jeunesse Orchester unter Rupert Huber haben diese interpretatorischen Feuerproben höchst eindrucksvoll bestanden. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2003)