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HERBERT PFARRHOFER/APA
Von diffusem Formwillen angeleitet, lädt Christian Pades Grillparzer-Inszenierung von "Der Traum ein Leben" im Wiener Josefstadt-Theater doch nur zum vorsorglichen Ermüden ein: ein konturloser Traum, vom Publikum eher pflichtschuldig akklamiert.

Wien - Im seligsten Plüschtheater Wiens macht jetzt im zweiten Monat einer immer noch grimmig amüsierwilligen Direktion die Kostümmacher-Schere ihr verheerendes Schnipp-Schnapp.

Ein Stück wie Grillparzers seelenauslotendes Der Traum ein Leben wird im Josefstadt-Theater als Aufklappbilderbuch erzählt. Pappkartonwürmer von der Bedrohlichkeit einer illustrierten Schöpfungsgeschichte züngeln aus dem Schnürboden nieder. Kalifats-Kokotten (Gertrud Drassl), mit Katzengold behängt, vor Talmi, Glanz und Flitter spiegelnd, schreiten hochhackig über einen abgeschrägten Traumspielplatz, als wären sie zur zirka vorvorletzten Schah-Hochzeit geladen.
Überhaupt wird Rustans Land der lediglich erträumten Möglichkeiten ein gutes Stück weit nach Osten gerückt. Wo Grillparzer 1834 den vor Unrast schier überlaufenden Bauern Rustan (Peter Scholz) in eine katastrophische Traumkammer hineinjagt, damit er die Schlichen und Tücken fataler Kabinettspolitik sozusagen am eigenen Leib folgenlos studieren könne - da legen Regisseur Christian Pade und Ausstatter Alexander Lintl lediglich eine überfeinerte Vollbremsung hin. Traumland ist eine Spielzeugkammer unter Geschmacksdiktat. In diesem Samarkand der Ausstattungshändler wird mit taumelnder Entschlossenheit "Gute Nacht!" gerufen.

Wirbelnder Derwisch

Vor den Schlaf hätten die Grillparzer-Götter freilich den Deutungsehrgeiz gesetzt gehabt. Nichts von alledem in dieser handverlesenen Kunstgewerbeübung. Denn erst findet sich Rustan als grämlicher Vetter des Prinzen von Homburg auf kahler Bühne wieder: Ein wirbelnder Sufi mit zylindrischem Hut (Ronald Kuste) wirbelt um die eigene Achse und verstreut gelbes Konfetti im Drehen.

Aus Staub zum Träumen ist hier alles lichterloh und zugleich vernunftschlafend gewoben. Dabei hält ein perfides Zeitzündungsgeräusch den paralysierten Horch-ins-Land Rustan inwendig am Köcheln. Der Getreue Zanga (Michael Dangl) soll als Schuhpastenneger den garstigen Wilden markieren. Soll Rustan zungenschleckend und kettenklirrend anstiften zu Ruhmessehnsucht und Beutebegier. Die leicht somnambul wirkende bäuerliche Verlobte (Drassl), der verschattet knarzende Oheim (Wolfgang Hübsch) schlagen den migränegeplagten Tausendsassa absehbar in die Flucht seiner Illusion. Kopfwehtheater von hohem Erkenntniswert wird als Vorruhephase lasch angebahnt. Es ist zum Eindösen.

Ab dann ginge es ums übergroße Ganze: Rustan nascht gefräßig von den verdorbenen Früchten seines eigenen, staatspolitischen Missmanagements, das ihn zum Mörder macht, zu diktatorischen Würden erhebt, ihm ein Weib beschert - und seine unwürdige Flucht erzwingt.

Im Traum kehren die hauseigenen Sittenwächter als staatspolitische Widersacher wieder. Es herrscht Krieg: Und alle intriganten Doppelgänger und äffenden Echos schöpfen gleicherweise aus der brodelnden Ursuppe einer zerrissenen, Ich-schwachen, von Metternichs Polizeistaat zum freiwilligen Verzicht angestifteten Seele. In Grillparzer spuken bereits die Hirne von Heiner Müller und Freud. Es ist ein grotesker Totentanz. Im Josefstadt-Theater werden die Armgesten der Göttin Kali nachgestellt. Wird Wotans Speer wie ein Vater-Phallus staunend ausgestellt. Die formalen Ansätze nicht verkennend, möchte man sagen: Bei Adlmüller waren Indien-Wochen. Und für jede Robe gibt es eine Messerspitze Grillparzer gratis. (DER STANDARD; Printausgabe, 18.10.2003)