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Erwin Steinhauer als Fortunatus Wurzel im Wiener Volkstheater.

Foto: REUTERS/Herwig Prammer

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Wien - Der Bauer Fortunatus Wurzel findet durch das Zutun geneigter Geister einen Batzen Geld - er beißt einen Dreschboden voller Klaräpfel auf und fischt aus jedem einzelnen einen Dukaten heraus. Auf dieses entbehrungsreiche Werk beschränkt sich die Anbahnung seines nach heutigem Verkehrswert millionenschweren Reichtums.

Ab nun verfinstert sich sein Gemüt. Der Bauer als Millionär wird auf städtischem Boden zum gewissenlosen Sturzkampftrinker. Er tritt das Glück seiner Ziehtochter mit Füßen - und darf ansonsten keine Menschen, sondern muss Allegorien umarmen: die Jugend, die ihm die Gefolgschaft weigert. Das Alter, das ihm die baldige Ankunft der Cousine Gicht anzeigt.

Vielleicht hat der unrettbare Melancholiker Raimund nie Schöneres ersonnen als diese zärtlich-trostlosen Umarmungen. Im Wiener Volkstheater, wo am Montag, 19.30 Uhr, Stephan Bruckmeiers Inszenierung des Originalzaubermärchens Premiere hat, spielt Erwin Steinhauer den Fortunatus. Mit jedem Zoll kein neurasthenischer Grübler, sondern ein kräftiger, lässiger Brocken von Mann - ein austeilender, prächtig aasiger Volksschauspieler, wie man sie am Weghuberpark früher einmal zu Dutzenden fand.
Man müsse sich zum angemessenen Verständnis schon die Mühe machen, Ferdinand Raimunds (1790-1836) missliche Lebensumstände in Betracht zu ziehen, sagt Steinhauer: "Er war Vollwaise mit 14 und hatte einen extremen Sprechfehler. Er konnte kein R sagen!" - Aber Raimund war doch ein Volksschauspielstar, ein Roland Düringer des Leopoldstadt-Theaters, wenn auch ohne Autowahn?
"Ja, das muss man sich überlegen", erzählt Steinhauer weiter. "Er wurde anfangs völlig verhöhnt, weil er ins tragische Fach überwechseln wollte. Er war Numero im Burgtheater, hat dort Getränke verteilt und ist dort quasi aufgewachsen. Beseelt von dem Gedanken, so wie seine Idole zu werden." Dann sei er draufgekommen: "Aber ja doch: Mein R gibt was her!"

Der Wechsel ins komische Rollenfach verlief ausnehmend erfolgreich. Über die Jahre habe er dann eine Spielweise bekommen, die von einer "inneren Wehmut" beseelt gewesen sei. Raimund wurde Popstar. Im wirklichen Leben: nichts als Untröstlichkeit. Grämliche Lebensangst, missliche Frauengeschichten, hohe Umtrunksdichte. Noch sein Selbstmord - Raimund schoss sich in unbegründeter Tollwutpanik in den Mund - gipfelte in einem fünftägigen Sterbemartyrium. Dem Manne misslang förmlich alles. Nur seine Stücke stehen unantastbar da. Wenn man sie denn guten Gewissens und reinen Herzens spielt: modern. Wie und vor allem warum kommt Fortunatus Wurzel nun aber zu so viel Geld? Steinhauer setzt sein süßestes Lächeln auf, hinter dem man ein unbegrenztes Gewaltpotenzial vermuten könnte, wenn man es nicht besser wüsste: "Dass einer ohne Arbeit zu Geld kommt, war doch im Wien des 19. Jahrhunderts absolut üblich. Eine Zeit der Neureichen und Emporkömmlinge. Ein bissel so wie heute." Steinhauers Grinsen ist fast schon schmerzlich: "Plötzlich ist einer da und wird Sponsor der Salzburger Festspiele. Alle Schauspieler werden gezwungen, zu dem hinzugehen. Von dem hat keiner etwas gehört. Und plötzlich gibt er Millionen. Die Illusion, dass einer mit Arbeit reich wird . . ." Willkommen im Reich der Illusionen - in Raimunds Zauberland. Für das Volkstheater wünscht sich Steinhauer übrigens eine "junge" Lösung. Und erarbeitet demnächst zusammen mit Rupert Henning ein Stück über das Schicksal der Sozialdemokratie. Was gut zum Thema passt. Wieder dieses Steinhauer-Wurzel-Lächeln: ein Fortunatus von zähnebleckender Gewalt. (poh/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7./8.12.2003)