"Das Herz schlägt schnell, wild und gewaltsam. Todesähnliche Bleiche. Der Atem geht schwer, die Nasenflügel werden weit. Es würgt in der Kehle. Die Augen treten hervor, die Pupillen erweitern sich, die Muskeln werden hart." Es ist fünf vor Krieg, zum Beispiel. Bis zu diesem Punkt macht der britische Biologe Charles Darwin 1872 bei seiner Schilderung von Angstsyndromen noch keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier - "sogar bei Vögeln bringt Terror den Körper zum Zittern".

Dann aber, wenn Angst überhand nimmt, reduziert der Forscher den Menschen auf einen intellektuell verkümmerten Scheißkerl: "Erreicht Angst einen extrem hohen Punkt, entlädt sich Panik in fürchterlichem Schrei. Schweißtropfen stehen auf der Haut. Muskeln sind entspannt, bald folgt äußerste Erschlaffung, die geistigen Kräfte versagen. Eingeweide sind ebenfalls betroffen. Die Schließmuskeln hören auf zu funktionieren, der Inhalt des Körpers kann nicht mehr zurückgehalten werden."

Darwin sah den Grund für die universelle Verbreitung derartiger Symptome in der evolutionären Bedeutung der Angst als Mittel der Vorbereitung auf Verteidigungsmaßnahmen - zur Selbst-, damit zur Arterhaltung. Dies wurde von der neurobiologischen Angstforschung längst bestätigt. Und tragisch ergänzt.

Jüngste Studien beweisen, dass beständige Angst die Lebenserwartung drastisch verkürzt. Chronische Angst, geschürt etwa durch Apostrophierung immer währender, allgegenwärtiger Terrorbedrohung, veranlasst das Gehirn, derart viel Stresshormone auszuschütten, dass dies über längere Zeit letale Organschädigung zur Folge haben kann: Angst essen Leben auf.

Österreichische Studien, gefördert vom Wissenschaftsministerium und Wissenschaftsfonds, haben sich vielfältig den Fragen nach Angst, Gewalt und Krieg genähert - siehe auch die Statements heimischer Forscher auf Seite A 6 und unten. Angstzustände bewirken laut dem Linzer Psychologen Hans Morschitzky "eine Alarmreaktion des Körpers, eine Bereitschaft zu Kampf oder Flucht". Nehme Angst so extreme Ausmaße an, dass es zum Zusammenbruch des gesamten geordneten Denkens und Handelns kommt, spreche man von Panik - eine akute Angstreaktion mit verminderter Selbstkontrolle, die zu Flucht oder Angriff ohne Rücksicht auf soziale Aspekte führe.

Am 15. September, vier Tage nach den Anschlägen, wurde ein seit zehn Jahren in den USA lebender Inder erschossen. Der Angreifer habe "den 49-jährigen Tankstellenbesitzer wegen seines Turbans und seines Barts für einen Moslem-Fundamentalisten gehalten". Für den Täter ein stereotypes Abbild Osama Bin Ladens, das von Medien bereits inszenierte Feindbild.

Ein Mensch sei umso anfälliger für Feindbilder, je weniger offen er mit seinen eigenen inneren Konflikten umgehen könne: "Der Inhalt von Feindbildern spiegelt das, was man selber ist, aber nicht zugeben kann oder will", erklärt der Grazer Psychologe Josef Berghold. Auf den Feind würden jene negativen Anteile der eigenen Persönlichkeit übertragen, die so sehr mit Scham und Schuld befrachtet seien, dass man sie nicht ertrage. In der Kindheit kommt der Erkenntnis, dass Negatives nicht nur von außen, sondern auch von innen kommt, eine wichtige Rolle für die Persönlichkeitsentwicklung zu. Feindbilddenken sei somit Rückschritt in frühkindliche Zeit, Feindbilder seien infantil.

Eine Studie von New York Times und CNN knapp vor Beginn des Irakkriegs hat ergeben, dass zwei Drittel aller Amerikaner "mehrmals pro Woche angsterfüllt" an 9/11 denken, sich im Fernsehen ständig Berichte über Krieg und Terror ansehen.

Laut Peter Vitouch, Wiener Kommunikationswissenschafter, bestimmen "Aspekte der persönlichen Entwicklung und der gesellschaftlichen Situation, in der das Individuum lebt", dessen Medienverhalten. Angstneurotische Rezipienten neigten sehr stark zu Angst erregenden Inhalten im Fernsehen, ängstliche Menschen wiesen in ihrer Wahrnehmung eine Tendenz zur Vereinfachung, zur sozialen Stereotypenbildung auf. Hier schließt sich der Kreis zu inszenierten Feindbildern.

Und wie missbraucht die Politik diese Schleife? "Ethnizität wird wie Religion häufig als Ideologie missbraucht, um die Menschen für bestimmte Ziele zu mobilisieren", ist der Grazer Rechtswissenschafter Joseph Marko überzeugt. Oft würden ökonomische Interessen bewusst zu religiösen oder ethnischen Konflikten gemacht, "um Machtinteressen zu verschleiern".

Der Hamburger Friedensforscher Hans-Joachim Gießmann geht einen Schritt weiter: Gewaltlosigkeit bilde zwar das Zentrum des Friedensbegriffs. Verstanden als personale Gewalt in zwischenstaatlichen Beziehungen sei Frieden im Kern aber nicht mehr als der Zustand des Nicht-Krieges, ein "negativer Frieden". Erst das Einbeziehen nichtpersonaler und struktureller Elemente von Gewalt führe zu einem "positiven Frieden": Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit von Hunger, Elend, Armut und Ausbeutung. Aber warum soll Frieden sein?

"Das politische und wissenschaftliche Interesse an der Beantwortung dieser Frage wird dadurch eingeschränkt, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur an 26 Tagen, im September 1945, die Waffen schwiegen", erklärt Gießmann. Die Friedensforschung sei heute durch politische Rückfälle in personale Gewalt weit von der Vision des Friedens entfernt. Die neue Frage laute: Was legitimiert den Einsatz militärischer Gewalt?

Hier nennt Gießmann etwa das 12-Uhr-Mittags-Syndrom: "Sehnsucht nach Verkürzung und Vereinfachung komplizierter Konflikte. Politische Handlungen müssen prägnant, überschaubar und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. Schwindet das Interesse der Öffentlichkeit, droht Delegitimierung von Politik." Öffentliches Interesse bleibt aber durch geschürte Ängste vor inszenierten Feindbildern bestehen. (Andreas Feiertag/Bambiland-ALBUMM/ DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.12.2003)