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Hans Gratzer: Langjähriger Leiter des Schauspielhauses, nur eine Saison in der Josefstadt.

Foto: APA/Jaeger
Wien - Direktor Hans Gratzer verlässt mit Ende August das Theater in der Josefstadt. Gratzer lege ab sofort die Geschäftsführung nieder, mit Ende der Saison auch die künstlerische Leitung, hieß es in einer Aussendung des Theaters. Die künstlerische Leitung wird mit nächster Saison wieder Gratzers Vorgänger Helmuth Lohner übernehmen. "Ich habe nicht den erhofften und aus meiner Sicht unerlässlichen Rückhalt erhalten", sagte Gratzer. Er habe sich verpflichtet, dem Haus in den kommenden zwei Saisonen für zumindest drei Regiearbeiten zur Verfügung zu stehen.

Die Details dieser am Dienstag im Rahmen einer Aufsichtsratsitzung und einer Gesellschafterversammlung ausgearbeiteten "grundsätzlichen Vereinbarung" werden in den nächsten Tagen festgelegt, hieß es aus der Josefstadt. Anstoß für die Personaldebatte war, dass Gratzer ab 2006 auch Intendant der Bad Hersfelder Festspiele in Deutschland werden soll. Der Magistrat der Kreisstadt Bad Hersfeld habe Gratzer für die Spielzeiten 2006 bis 2008 unter Vertrag genommen, teilten die Bad Hersfelder Festspiele am Dienstag mit. Sein Vertrag in der Josefstadt wäre ebenfalls bis 2008 gelaufen.

"Geordnete Übergabe"

Gratzer zeigte sich in einer Aussendung "sehr glücklich, dass eine Lösung gefunden wurde, die der Josefstadt eine geordnete Übergabe sichert und gleichzeitig die von mir angestrebten Synergien mit den Festspielen Bad Hersfeld ermöglicht." Die beiden Subventionsgeber Bund und Stadt Wien haben den Rückzug von Hans Gratzer als Geschäftsführer des Theaters in der Josefstadt mit Bedauern zur Kenntnis genommen, hieß es indes.

Kunststaatssekretär Morak (V) und der Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny (S) "anerkennen und begrüßen namens der Theatererhalter die Bereitschaft Helmuth Lohners, interimistisch die künstlerische Leitung des Theaters ab Herbst 2004 zu übernehmen". Es sollen Gespräche zwischen Subventionsgebern und Theater "über die mittel- und langfristige Zukunft" geführt werden. Wer die Geschäftsführung, die Gratzer per sofort niederlegte, übernehmen wird, darüber waren noch keine Angaben seitens der Josefstadt zu erlangen.

"Ergebnis der Ausschreibungspolitik"

Die Kultursprecherin der Wiener Grünen, Marie Ringler, kommentiert den Rücktritt von Hans Gratzer hingegen als "ein vorhersehbares Ergebnis einer schlecht vorbereiteten und unprofessionellen Ausschreibung". Es sei kein Wunder, so Ringler weiter, dass Gratzer jetzt das Handtuch werfe, da die Ausgangslage und Akzeptanz für Hans Gratzer durch die chaotische Ausschreibung denkbar schlecht gewesen wäre. So hätte Gratzer seine Intendanz gar nicht zu einem Erfolg führen können.

Reaktionen

Der ehemalige Burgtheaterdirektor Claus Peymann hat im Zusammenhang mit Gratzers Abgang die Kulturpolitik kritisiert. "Der Kulturstadtrat der Stadt Wien sollte jetzt konsequenterweise im Josefstädter Theater - frei nach Thomas Bernhard - endgültig das einzige theatralische Seniorenheim der Stadt Wien installieren", so Peymann. Der Regisseur Hermann Beil, der auf Grund des Sanierungskonzeptes die Leitung des Theaters in der Josefstadt nicht übernehmen wollte, meinte: "Das alles überrascht mich nicht. Ich habe ja im Herbst 2001 erlebt, wie mit der Josefstadt umgegangen wird. Es ist für mich ein déja vu", so Beil in einem Statement. Helmuth Lohner wünsche er "natürlich alles Theaterglück".

Josefstadt-Schauspieler und Ex-Direktor Otto Schenk will über die Entwicklung der Ereignisse am Haus rückblickend "kein Gutachten abgeben. Das ist nicht meine Art. Es wäre falsch, jemanden zu kritisieren, der sowieso weggeht; der einsehen muss, dass etwas nicht so gelaufen ist, wie es sein Traum war. Träume gehen halt manchmal nicht in Erfüllung am Theater. Das ist traurig, das ist auch tragisch wahrscheinlich." Der Schauspieler und Regisseur Karlheinz Hackl, der sich als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Josefstadt-Leitung letztendlich Hans Gratzer geschlagen geben musste, nimmt "zur Kenntnis, dass Helmuth Lohner wieder Direktor wird". Einschätzung der jetzigen Situation in der Josefstadt wollte Hackl keine abgeben: "Das betrifft mich nur mehr marginal. Man muss abwarten".

Unter Beschuss

Die unerfreulichen Vorgänge rund um die Bestellung der Direktion des Theaters in der Josefstadt sind noch in guter Erinnerung. Die Ausbootungen von Karlheinz Hackl und danach von Hermann Beil zählen zu jenen Dramen, die sonst dem Bühnengeschehen vorbehalten bleiben. Mit dieser Hypothek ist Hans Gratzer als Direktor des Theaters in der Josefstadt gestartet, und die ersten Premieren gerieten unter heftigsten Beschuss der Kritik. Erst "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" konnte die Trendwende in der Kritikermeinung herbeirufen, die Kritik an den geringen Auslastungszahlen wollte jedoch nicht verstummen.

Pointierte Klassikerinszenierungen

Hans Gratzer, wurde 1941 in Wiener Neustadt geboren. Schon nach drei Semestern brach er die Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar ab und gründete 1963 "Das Kammertheater in der Piaristengasse", wo er mit "Das Spiel von Liebe und Zufall" von Marivaux seinen Einstand als Regisseur gab. Danach arbeitete zunächst vor allem als Schauspieler in Hamburg und München, der Josefstadt, dem Volks- und dem Burgtheater, ehe er 1973 die "Werkstatt" im Theater am Kärntnertor gründete und dort mit seinen Inszenierungen Aufsehen erregte. Die "Werkstatt" wurde mit Aufsehen erregenden Inszenierungen (u.a. "Elisabeth I."), die ihm sowohl den Förderungspreis zur Kainzmedaille als auch die Kainzmedaille selbst eintrugen, ein Markenzeichen.

Nach der Schließung des Kärntnertortheaters gründete er 1977 das Schauspielhaus, das 1978 eröffnet und bis 1986 von ihm geleitet wurde. Die Arbeit des Regisseurs Hans Gratzer mit zeitgenössischen Autoren - das ist ein ebenso langes wie wichtiges Kapitel der Wiener Theatergeschichte wie seine Leitungstätigkeit am Wiener Schauspielhaus. Mit pointierten Klassikerinszenierungen, Gegenwartsdramatik und später auch Musical-Produktionen (wie "Rocky Horror Picture Show") wurde das Schauspielhaus eine allererste Theater-Adresse, die weit über Wien hinaus wirkte. Nach einem Intermezzo als freier Regisseur in Zürich, München, Berlin und Frankfurt - während George Tabori das Schauspielhaus als "Der Kreis" führte - kehrte Gratzer 1991 bis 2001 für eine zweite Direktionszeit zurück.

Gegenwartstheater

Mit einem ausschließlich an Ur- und Erstaufführungen orientierten Konzept wollte er die Bühne als erstrangiges deutschsprachiges Gegenwartstheater positionieren. Zu seinen größten Erfolgen zählt die Entdeckung des Dramatikers Werner Schwab, viele Produktionen (rund ein Drittel von ihnen wurde von Gratzer selbst inszeniert) wie etwa "Angels in America" sorgten für Gesprächsstoff und Kritiker-Aufmerksamkeit, mangelnder Publikums-Zuspruch führte jedoch zur allmählichen Hinterfragung des Konzeptes und schließlich zu einer Abschieds-Saison mit Musiktheater-Produktionen im Theaterraum und dem "Autoren-Schaufenster" im kleinen Lokal. Im September 2003 übernahm Gratzer die Direktion im Theater in der Josefstadt, die er mit Ende August 2004 wieder abgibt. (APA/red)