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Prodi: Schulterklopfen für den türkischen Premier Erdogan

Foto. APA/EPA

Erstmals seit 40 Jahren, nachdem die damalige EWG 1964 einen Assoziierungsvertrag mit der Türkei unterzeichnet hatte, besuchte gestern ein EU-Kommissionspräsident die Türkei. Romani Prodi traf in Ankara zunächst mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zusammen und hielt dann eine Rede vor dem Parlament. Heute, Freitag, wird er nach einem Gespräch mit Staatspräsident Sezer nach Istanbul fliegen und dort den volksnäheren Teil seines Besuchs absolvieren.

Er weiht ein EU-Informationsbüro am zentralen Taksim-Platz ein und wird an der renommierten Bosporus-Universität über die türkische EU-Perspektive reden. Prodi, der in der Vergangenheit nicht unbedingt ein Anhänger des türkischen EU-Beitritts war, ist in die Türkei gekommen, weil nun auch die EU-Kommission davon ausgeht, dass ein Beginn von Beitrittsverhandlungen im kommenden Jahr zumindest möglich ist. Die Türkei, so die Botschaft Prodis vor dem Parlament, kann es schaffen, wenn es ihr gelingt, die verabschiedeten Reformen auch umzusetzen. "Implementierung" ist deshalb im türkisch-europäischen Verhältnis das Wort des Jahres.

Hohes Reformtempo

Prodi, der zusammen mit EU-Kommissar Günther Verheugen in Ankara anreiste, hat in Interviews im Vorfeld des Besuchs erklärt, die Kommission sei von dem hohen Reformtempo der neuen türkischen Regierung überrascht worden. Jetzt will sich Prodi persönlich davon überzeugen, dass die Reformen nicht nur auf dem Papier stehen. Rechtzeitig zum Besuch hat die Regierung Erdogan noch die Abschaffung der Todesstrafe auch in Kriegszeiten erklärt – eine Einschränkung, die die Vorgängerregierung noch gemacht hatte – und angekündigt, man werde das Strafmaß für folternde Polizisten noch einmal erhöhen.

Das Problem der Regierung bleibt aber, dass Staatsanwälte nach wie vor Foltervorwürfen nur widerwillig nachgehen und Richter fast immer zugunsten der angeklagten Polizisten entscheiden. Ein anderes Beispiel für die Probleme, die die Regierung mit der Justiz hat, ist der Fall Leila Zana. Der Prozess gegen die ehemalige kurdische Abgeordnete muss nach einer entsprechenden Reform zwar wiederholt werden. Das zuständige Staatssicherheitsgericht zeigt aber wenig Neigung, sein früheres politisches Urteil nun wenigstens abzumildern.

Neben den praktischen Reformen ging es Prodi auch darum, noch einmal klar zu machen, wie wichtig eine Lösung des Zypern-Problems ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2004)