Dass diese Tiere fantastischen Schinken ergeben, sehen selbst Laien auf den ersten Blick: die Schweine von Rudolf Hofmann.

Foto: Heribert Corn
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Mit gutem Grund – denn sie sind grausam. Langsam gibt es aber auch bei uns Ansätze zur artgerechten Haltung – nicht im Stall, sondern unter freiem Himmel.

Weil es in einem Saustall naturgemäß stinkt, hat der Bauer Rudolf Hofmann erst gar keinen. Schweine aber schon: Seine Herde von rund 100 Turopolje-Schweinen lebt in der Nähe von Prellenkirchen in Niederösterreich – im Freien, und zwar Sommer wie Winter. Die sind zwar durchaus auch starr vor Schmutz, vor allem, wenn sie gerade einem genüsslichen Suhlbad im Teich entsteigen. Von Gestank kann jedoch keine Rede sein. Ein bisschen würzig ist die Luft, aber nicht mehr, als man das bei einer Truppe von 100 ungewaschenen Fettbäuchen menschlicher Natur auch erwarten würde.

Diese Form der Haltung, bei der die Tiere sich ungehindert auf der Weide tummeln, Grünzeug fressen und mit schweinischer Lust den Boden nach Wurzeln, Nüssen, Eicheln und Larven umgraben, im Schatten eines Baumes ruhen und im Schlamm suhlen können, ist in Österreich mittlerweile völlig ungewöhnlich. Bis in die 1970er-Jahre galt es als normal, dass Bauern ihre Tiere zumindest den Sommer über auf die "Sauweide" trieben, dann machte die Industrialisierung der Landwirtschaft dem ein Ende. Die überwältigende Mehrheit aller im Bundesgebiet gezüchteten Schweine ist heute in automatisierten Ställen untergebracht, die auf Gewichtmaximierung ausgelegt sind und den natürlichen Bedürfnissen der Tiere exakt null Platz bieten. Aber die Schweine nehmen so täglich ein dreiviertel Kilo zu, ihr Schlachtgewicht von 110 Kilo erreichen sie binnen vier Monaten. Zum Vergleich: Die Freilandschweine von Rudolf Hofmann brauchen dafür eineinhalb Jahre.

Schnelle Sau

"Das ist der Preis, den ich bezahle, weil ich die Viecher nicht mit Kraftfutter mäste und ihnen die Möglichkeit gebe, sich frei zu bewegen", sagt Hofmann. Er ist Mitglied des österreichischen Turopolje-Schweinezucht-Verbandes, der sich zum Ziel gesetzt hat, diese alte, für das ganzjährige Leben im Freien ideal ausgestattete Rasse zu pflegen und vor dem Aussterben zu retten. "Man glaubt kaum, wie schnell so eine Sau rennen kann", sagt der gelernte Koch, der viele Jahre ein Wirtshaus betrieben hat, mit der Qualität des Fleischangebots aber stets unzufrieden war, "bei Spitzengeschwindigkeiten von 40 km/h hat man im Ernstfall kaum eine Chance, ihnen zu entkommen".

Weil Schweine außerdem extrem intelligent, schnell lernfähig sind und sie, so Hofmann, "schon richtige Gfraster sein können", ist die Freilandhaltung durchaus mit Mühen verbunden: "Meine Arbeit besteht neben dem Füttern mit Erdäpfeln, Karotten, Fallobst, Heu und Mais im Wesentlichen daraus, die Zäune zu reparieren." Die Schweine scheinen sich einen Spaß daraus zu machen, Gatter zu untergraben, Zäune zu zerbeißen und sich auch sonst nach Herzenslust schlecht zu benehmen.

Vielleicht ist das ein Grund, warum die Möglichkeit der artgerechten Haltung im Freien auf der Informationsseite des Verbands österreichischer Schweinebauern (www.schweine.at) nicht einmal erwähnt wird: Neben dem ungleich geringeren Ertrag macht es natürlich mehr Arbeit, diese sozialen, schlauen, im Grunde aber recht anspruchslosen Tiere so zu halten, dass sie auch Spaß am Leben haben. Bei Nachfragen verweisen Funktionäre auf die Gefahr des Wurmbefalls bei im Freien gehaltenen Tieren – wodurch unter Umständen mit Medikamenten gegengesteuert werden müsste. Rudolf Hofmann kann das nicht nachvollziehen: "Das Gegenteil ist der Fall. Die intensive Haltung auf engstem Raum führt bei den Tieren nicht nur zu Stress und artfremdem Verhalten, sondern natürlich auch zu einer Schwächung des Immunsystems, die den extensiven Einsatz von Medikamenten erst notwendig macht."

Teil des Qualitätsempfindens

Für Sigurd Konrad, Professor an der Wiener Boku und Spezialist für landwirtschaftliche Nutztierhaltung, ist die Entwicklung der Schweinezucht im Lande ein dunkles Kapitel: "Der Trend zu immer intensiverer Produktion ist nicht aufzuhalten. Auf die Bedürfnisse der Tiere wird längst keine Rücksicht genommen – was zählt, ist der Fleischausstoß." Weil die Entwicklung der Ställe zu riesigen Fleischfabriken, bei denen, so Konrad, "vorne die Ferkel reingesteckt werden und hinten schon der Schlachter wartet", nicht mehr zu ändern sei, habe er sich inzwischen darauf beschränkt, nur noch mit kleinen Erzeugergemeinschaften zusammenzuarbeiten, bei denen das Schicksal der Tiere nicht völlig ausgeklammert wird: "Die Haltung der Tiere muss endlich Teil des Qualitätsempfindens auch beim Konsumenten werden – viel Hoffnung mache ich mir freilich nicht."

Denn die auf maximalen Ertrag ausgerichtete Form der Zucht ist natürlich eine direkte Folge des enormen Hungers der Österreicher auf billigen Schinken, Extrawurst, Schnitzel und Schweinsbraten: Auf die Bevölkerungszahl hochgerechnet, verdrückt jeder Einzelne von uns pro Jahr allein 56,4 Kilo Schweinefleisch – mehr als 150 Gramm pro Tag und dreimal so viel, wie Ernährungswissenschafter empfehlen. Wohlgemerkt: Geflügel, Rind, Kalb, Lamm oder Wild sind nicht mit eingerechnet, da käme man auf 270 Gramm pro Tag und Nase.

Um derartige Massen an Fleisch herzustellen, sind extreme Herstellungsbedingungen unvermeidbar. Dennoch ist etwa in Großbritannien, aber auch in manchen Gegenden Deutschlands und, natürlich, im Schinkenparadies Spanien, die ganzjährige Freilandhaltung ohne Stall längst eine ethische Alternative zu Massenfleisch.

Reich an ungesättigten Fettsäuren

Der Geschmack ist tatsächlich unvergleichlich besser. Beim Schwein aus industrieller Zucht kommt das Fleisch im Rohzustand meist wässrig und ausdruckslos, gegart hingegen trocken und mit unangenehm schweißigem Geruch daher. Für die Schinken- und Wurstproduktion muss es erst einmal mit Geschmacksverstärkern aufgeladen werden. Das Fleisch der Turopolje hingegen hat kernigen Biss, feinen, klar strukturierten Geschmack und eine saftige Fettauflage, die wegen des Wildfutters noch dazu besonders reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren ist.

Das hat natürlich auch die Spitzengastronomie erkannt. Schweinerne Gerichte auf den Speisekarten von Topköchen wie Gerhard Fuchs, Max Aichinger oder Rudi Obauer sind deshalb schon des Längeren aus dem Fleisch von Turopolje, Mangaliza, Duroc und anderen alten Hausschweinrassen aus Freilandhaltung. Im Wiener Glacis-Beisl hat Küchenchef Harry Deschberger das Turopolje-Fleisch und den Speck von Rudolf Hofmann exklusiv im Programm – mit einer fantastischen Brettljause, mit Schopf auf Eierschwammerl, vor allem aber mit einem wahrhaft hinreißenden, gerollten und gebratenen Bauch, der mit Äpfeln und Thymian gefüllt und hauchdünn aufgeschnitten serviert wird: pures Glück in fettiger Form.

Aber auch auf den Märkten und bei manchen ausgesuchten Fleischhauern gibt es inzwischen Möglichkeiten, an Turopolje- und Mangaliza-Produkte heranzukommen. Rudolf Hofmann lässt sein Fleisch und das seiner Verbandskollegen von Gerhard Hellwig vermarkten, der zwar auch die Edelgastronomie beliefert (Tel.: 01/924 4002), jeden Samstag Vormittag aber auf dem Bauernmarkt am Yppenplatz, am Ende der Ottakringer Brunnengasse, anzutreffen ist. Im Vergleich zu intensiv produziertem Fleisch ist es natürlich teurer, das Kilo Schopfbraten kostet schon mal 20 Euro, 10 Deka Beinschinken allerbester Qualität sind mit 3 Euro wohlfeil. Wobei man die spürbar höheren Preise absolut als Wohltat begreifen kann: Wer sich für Fleisch aus artgerechter Haltung entscheidet, bekommt schließlich nicht nur ein ungleich wertvolleres Produkt – er isst auch weniger davon und fördert seine Gesundheit somit doppelt. (Severin Corti/Der Standard/rondo/22/08/2008)