Die "Gastwirtschaft Graf Radetzky" vis-à-vis vom Ronacher.

Foto: Gerhard Wasserbauer
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Müssen wir uns Sorgen um den Nimbus Wiens als Sexhauptstadt Europas machen? Sieht fast so aus. Okay, am Flughafen werden Ankommende unverändert mit einer Leuchtreklame für die bekannte österreichische Bordell-Kette begrüßt. Auch aus einschlägigen Tageszeitungen quellen noch überdeutliche Angebote. Aber sonst? Der Gürtel war einmal, aus dem Maxim wurde eine Skihütte, Hollywood Go-Go in der Sonnenfelsgasse ging im Pan-Asiaten Little Buddha auf, selbst Beverly Hills musste umziehen - und jetzt sperrt dort, wo bisher ein Striptease-Schuppen namens "Rush Hour" war, ein Wirtshaus auf.

So weit, so erfreulich. Zwar erinnert das Interieur der "Gastwirtschaft Graf Radetzky" mit Bar aus Zebrano-Holz (ujegerl), neo-imperialem Fantasy-Luster, mächtig Stuck und zwei "Flatties" (Szene-Jargon für Flachbildschirme) an den Wänden auf den ersten Blick eher an ein aufgezwirbeltes Wettcafé. Dafür wurde ein echter Graf Radetzky (so es dergleichen bei uns noch geben darf) als Gastgeber engagiert. Und zwar, so die Website, weil ein berühmter Ahn des aktuellen Grafen "das weltweit bekannte und auch von den Österreichern vielgeliebte Wiener Schnitzel" einst von seinen Reisen in die Kaiserstadt gebracht habe. Das hält zwar keiner historischen Prüfung stand, ist aber ein nettes Gschichtl.

"Fangfrischen Zander aus der Donau"

Die Speisen werden von Matthias Mühlgassner verantwortet, der zuvor der Weibel-Wirtshaus-Küche vorstand. Zu trinken gibt es 18 verschiedene Biere, davon sechs vom Fass - und ausnahmslos von großen Konzernbrauereien. Die Weinauswahl ist vergleichsweise ärmlich, je drei offene Weiße und Rote von weitgehend unbekannten Winzern, das war's auch schon. Dafür ist die Speisekarte ziemlich dick und bietet vom obligaten Schnitzel über Kalbsgulasch, Blunzenradln, Fleischknödel und Butterschnitzel bis zu Pangasius gebacken, Carpaccio und "österreichischem Antipastiteller" (mit Räucherlachs!) eine imposante Leistungsschau österreichischer Wirtshausklassiker alter wie aktueller Prägung - oder was als solche durchgeht.

Aber auch Rätselhaftes wie "fangfrischen Zander aus der Donau": in Zeiten, da es keinen einzigen professionellen Donaufischer im Bundesgebiet mehr gibt, das Äquivalent eines Wunders. Auch wie die "österreichische Büffelmozzarella" ihren Weg auf die Karte fand, kann sich der einzige Halter von Wasserbüffeln im Lande, Käser Robert Paget aus dem Kamptal, nicht erklären: "Von mir jedenfalls nicht."

Wie auch immer: der Zander ist grätenfrei und auch sonst so trocken gebraten, wie es die österreichische Küchentradition vorschreibt. Bei den "hausgemachten Krautfleckerln" stammt die Nudelware zwar aus der Fabrik, dafür ist das Kraut tadellos karamellisiert und von butterweicher Anschmiegsamkeit. Rindsrouladen werden, nicht ganz regelkonform, unter anderem mit Frankfurtern gefüllt, schmecken aber in Ordnung. Vom "Reisauflauf Radetzky" liest man einstweilen nur auf der Homepage, die Dessertkarte bot neben Palatschinken und Mohr im Hemd im Wesentlichen Kaiserschmarrn. Das erschien uns, mit Verlaub, diesmal zu gewöhnlich. (Severin Corti/Der Standard/rondo/29/08/2008)