"Unsere" Kantine in Bagdad: Zwar ohne Blick aufs Blumenbeet, aber der Zaun aus Stahlgitter-Sandsacktonnen vor den Fenstern sorgt für eine gemütliche Beleuchtung.

Foto: Harrer/Cremer

Das, was noch schlimmer ist als Kantine: Im braunen Sackerl ist, wieder in diverse Sackerl verpackt, das, was der US-Soldat im Feld zu sich nehmen muss.

Foto: Harrer/Cremer

Gudrun Harrer erlaubt sich ein paar profane Erinnerung an ihre Zeit als österreichische Sondergesandte in Bagdad

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An manchen Orten würde man ja nur zu gern seine biologischen Funktionen einstellen, aber das spielt's halt nicht. Gegessen (das Gegenteil ist hier nicht Thema) muss auch im Krieg werden. Aus Bagdad im Golfkrieg 1991 berichteten Freunde, dass sie, bei all dem Schrecken der Bombardements, in den ersten Kriegswochen Kilos über Kilos zunahmen, weil sie unverhältnismäßig viel aßen: Es gab keinen Strom, und die Tiefkühltruhen mussten geleert werden. Wär ja schad' gewesen um die guten Sachen.

So schlimm hatten wir es natürlich nicht erwischt, in der sogenannten Grünen Zone im Bagdad des Jahres 2006. Wobei ich die Beschreibung mancher Journalisten - Shopping-Malls und Restaurants in der grünen Oase - nicht bestätigen kann, außer man hält wilde Hunde, räudige Füchse und hochgiftige Skorpione für ein erstrebenswertes Naturerlebnis. Unser "Shopping" ging jedenfalls in einem PX-Store der US-Armee vonstatten, in dem mich die Busenhalter für Soldatinnen am meisten beeindruckt haben (schade, habe keinen gekauft, weiß also nicht, was die können), plus die Mengen an Jacobs Kaffee, den die GI's in Deutschland trinken gelernt haben.

Kein US-Trashfood

Was die sogenannten Restaurants betrifft: Die Pizza- und Burger-Buden sowie Coffeeshops im amerikanischen Food Court beim PX waren meist geschlossen - Wasserprobleme. Weiters gab es zwei arabische Restaurants, ein schlechtes mit Drinks, ein ganz gutes trockenes (wo man dann aber später Flaschen mitbringen durfte). Das chinesische, immer wieder in Medienberichten erwähnt, haben wir nie gefunden. Blieben also nur die Kantinen. Wobei die Amerikaner nach ihren großartig angelegten Anfangszeiten bereits auf Sparkurs geschaltet hatten: In der US-Botschaftskantine durfte nicht jeder speisen, die Buchstaben ND - No Dining - zierten auch mein Diplomaten-Badge, das heißt, kein US-Trashfood, ohne von einem Ami, der die Autorität dazu hatte, eingeladen zu sein.

Nicht, dass ich mich darum gerissen hätte: Wobei meine zwei Kantinenbesuche im riesigen US-Militärcamp am Flughafen Bagdad zu den eindrücklichsten (anti)kulinarischen Erlebnissen gehörten. Appetit hat man sowieso keinen, wenn jemand mit der Puffen über die Beine gelegt neben einem sitzt. Den GIs schien es jedoch zu schmecken. Was die guten Leute da zum Fraß vorgesetzt bekamen, lief unter viel und bunt: Meine Theorie, dass denaturiertes Essen das Hirn schrumpfen lässt und zum Untergang der großen amerikanischen Nation führen wird, stieß jedenfalls bei jenen Irakern, vor denen ich sie ausbreitete, auf reges Interesse. Sie wussten wahrscheinlich nicht, dass das länger dauert.

Wie - klarerweise - die Militärkantine war auch die in der US-Botschaft trocken, im Gegensatz zur "unseren", der britischen (wobei das britische Personal aber nur am Abend durfte). Zunächst war ein ehrwürdiger britischer "Crown Agent" dort am Werken, dann wurde der Vertrag neu ausgeschrieben, und, was soll ich sagen, auch die Briten hatten bereits ihr Sparprogramm. Eines Tages zogen Köche ein, die aus "Papillon" entsprungen schienen. Was im Mund an Zähnen fehlte, war an Tätowierungen vorhanden. Da machten wir dann unter anderem Bekanntschaft mit "Essigersatz" in winzigen Zellophantüten. Zu heftig zum Waschmaschinenentkalken - wenn es denn in Bagdad Kalk im Wasser gäbe.

Marillenschnaps im Flascherl

Nein, dort sind ganz andere Dinge drinnen. Aber mit dem oralen Desinfizieren ist es auch nicht so einfach. Hier sei einmal öffentlich die kulturelle Leistung von C. F. gewürdigt, die das - schnullerlose, bitte - Babyflascherl (dicht schließend, nicht bruchgefährdet, geruchlos) als ideales Versandgebinde für wertvolle Flüssigkeiten erfand. So kam der Marillenschnaps nach Bagdad. Er wurde bei Botschaftersitzungen eingesetzt (die Quitte habe ich allein ...). Mit einem Babyfläschen trat ich auch den Weg vom Büro zum Mittagessen an: Olivenöl und Balsamico abgemischt. Eine spanische EU-Diplomatin, die ebenfalls bei den Briten logierte, wich mir nicht von der Seite, wenn ich mit dem Flascherl ankam.

Aber kein Anlass zur Nostalgie: Als ich in den 1990er-Jahren in Bagdad irakisch aß, hat das Essen auch nur mehr wenigen geschmeckt, beziehungsweise sie hatten dieses Essen nicht mehr. Masguf, das Bagdader Essen schlechthin, Tigrisfische am offenen Feuer zubereitet: Ein Parlamentarier ließ mir 2006 einen in sein Büro im Parlament in die Grüne Zone schaffen, weil "draußen" ein Treffen und Essen unmöglich war. Es war schön und traurig zugleich: Die Gedanken darüber, ob der Fisch aus einem Abschnitt des Tigris stammte, in dem viele oder wenige Leichen schwammen, wäre für unsereins nur mit viel Weißwein zu bekämpfen gewesen.

Draußen wurde geschossen

Glorios aßen wir 2006 auch einmal im irakischen Industrieministerium, in einem oberen Stockwerk in einem Gebäude in der Roten Zone. Draußen wurde gerade geschossen, aber die Vorhänge waren geschlossen, und wir waren gerührt: Hatten wir doch gedacht, beim Kantinenfraß unsere Geschmacksnerven für alle Zeiten verloren zu haben. Und dann das, plötzlich schmeckte Gemüse nach Gemüse und Fleisch nach Fleisch! Aber die echten irakischen Essen eines halben Jahres waren an einer Hand abzuzählen. Überhaupt die echten Essen.

Nur unsere Gurkhas - sie bewachten uns - hatten eine eigene Kantine, aus der immer köstlicher Curry-Duft stieg. Als dann ihr Cooking House einen Raketentreffer abbekam, mussten sie längere Zeit bei uns essen. Stoisch schaufelten sie die seltsamen Dinge in sich hinein und hörten auf, sich über den Zerfall des Empire zu wundern. (Gudrun Harrer/Der Standard/rondo/24/10/2008)