Una Wiener war in der Toskana...

Foto: Wolfgang Jelinek

...sie aß bei Starschlächter Dario Cecchini, ...

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... wo es neben massiven Fleischbrocken auch Fleischlaberln gibt, ...

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die es bloß auf mickrige 250 Gramm Gewicht bringen...

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...nicht viel für echte und zugereiste Chiantiner.

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Wenn hierzulande die post-buon-natale Depression umgeht, flüchtet der routinierte "Bohemian Bourgeois" nach Zitronenland. Auf Armlänge bietet sich da die allseits beliebte Toskana an, in der an die vier Millionen Menschen leben, davon aber wahrscheinlich nur noch circa zwölf eingeborene Toskaner. Alle anderen kommen aus dem Norden mit ordentlich Penunze oder aus dem Süden in Ermangelung derselben.

"Chianti" ist das mit oben Florenz und unten Siena. Und dem Rotwein, der damals in strohummantelten Bauchflaschen (ital.: "fiasco", sic!) von den Eltern als Souvenir mitgebracht wurde, seitdem aber mit mindestens 80 Prozent Sangiovese-Trauben unter der Ägide des schwarzen Hahns "bella figura" macht. Vor dem guten Roten jedoch zuerst einmal der "aperitivo". In Firenze vielleicht gleich bei Gigli, altehrwürdig und mit ungefähr zwei Metern aufgebudelter Häppchen: Röstbrot für Milz- oder getrüffelten Leberstreich, Oliven, in Kleintomaten gebetteter Frischkäse, Essiggemüse, aber auch Frankfurter-WürstelScheiben und allerhand Fernsehknabbereien. Der "caffè" kostet hier - wie italienweit - 80 Cent, jede Art Glasgetränk dann aber eh das Zehnfache.

Etruskerland ist nicht Sizilien

Für Gala-Leser böte sich auch Herrn Cavallis Ausschank an, wo man aperitifmäßig nicht ganz so beeindruckt wird, sich dafür aber in Sichtweite von tiergemusterten Modeartikeln auf das Essen freuen kann. Auf Tier, nämlich.

Etruskerland ist nicht Sizilien, ergo hat man's hier nicht so mit Vegetabilien. In der Markthalle von San Lorenzo beispielsweise holt man sich Appetit bei der Begutachtung von gestapelten "nervetti" (gekochten Sehnen), hübsch mit Petersilie dargebotenen Kuhgesichtern oder blanchierten Rindermägen (wer damals in der Schule aufgepasst hat, weiß, wie die vier Abteilungen heißen), um sich hernach in einer der umliegenden Ausspeisungen mit "crostini di poppa" (Euterbrötchen) gefolgt von "frattaglie", also gesottenen Mägen (gern mit Maul, Fuß und Wange aufgepeppt), oder einem "bollito erotico" (Ragout aus Schließmuskel, Uterus und Euter) zu traktieren.

Innerei samt Schlunz

Auf der Gasse ist Innerei samt ordentlichem Schlunz "salsa verde" auch bei vertrauenswürdigen Sergios, Gigis und Claudios direkt von der "Ape" (der zur "Biene" aufgerüsteten Kabinenvariante der Vespa) zu erwerben. Wer Gedärme nicht mag, nimmt in der Toskana Fleisch. Seit der BSE-Entwarnung gibt es wieder "bistecca fiorentina", ein circa kiloschweres Rindskotelett, das der tüchtige Chiantiner auch mal mittags blutig und mit Brot zu sich nimmt. Mädchenessen ist hier "tagliato", ein bloßes Dreiviertelkilo halbrohen Rindermuskels, dafür aber in Scheiben und auf drei Raukeblättchen serviert.

Eilige Esser können sich seit kurzem auch auf einen "Mac Dario" nach Panzano in Chianti verfügen, wo, im blutrot kunstbemalten, neuen Etablissement des singenden Starfleischers Dario Cecchini schlichte 250-Gramm-Fleischlaberln geboten werden. Um zehn Euro mit Pseudo-Bun, Rosmarinerdäpfeln und von Kellner Dante weltmännisch als "Ketchup del Chianti" beigestellter Tomatensauce sowie "Pepper Jelly", einer schrei-orangenfarbenen Paprikamarmelade.

Es gibt Brot

Der "primo", das einführende italienische Kohlehydratgericht, ist im Chianti (im Gegensatz zu den klimatisch besser bedienten Regionen, wo es reicht, ein paar Tomaten über der spaghettata auszudrücken) recht rustikal. Es gibt Brot. Das toskanische Backerzeugnis dieses Namens wird, selbst wenn es aus dem berühmten Panificio auf der Piazza Matteotti in Greve kommt, circa 20 Minuten nach Erwerb holzhart, ist aber auch davor gänzlich geschmack-, weil salzlos. Selbst die neumoderne Vollkorn-Variante ("integrale") kann durch die im Laib verteilten zwölf Körner oder die untergemischte Kleie nicht wirklich überzeugen. "Pane" wird in der Toskana daher auch nur weiterverarbeitet genossen.

Als warmer Zwieback etwa ("bruschette") mit schieren Fettscheibchen ("lardo") oder Bohnenpaste bedeckt, in Kohlsuppe eingeweicht als "ribollita" oder als "fettunta", in Schnittenform mit - nomen est omen - ungefähr einem Achtel Öl und Giallorini-Böhnchen drüber. Aufregend wird das Kauzeug eigentlich nur, wenn es winters das "olio nuovo" gibt. Shampoogrüner, kratziger Sirup, der ab November hügelauf, hügelab händisch oder mit elektrischen Doppelkämmen aus den Olivenbäumen geklappert wird. Und mit dem danach wochenlang alles, außer den "cantucci" (Hundekekse, die dem Gast zur Tränkung in Süßwein kredenzt werden), gesalbt wird.

Torta di castagne

Wer ohne Pasta nicht kann, ordert in der Toskana Breitnudeln, "pappardelle al" alles Mögliche, hauptsächlich aber "al ragù" aus Wildschwein, Hase oder Ente. Der Toskaner erlegt sein Fleisch nämlich gerne noch selbst. Keine Kurve, keine Waldwegbiegung, hinter der man nicht schick (wie aus dem Golfkrieg-TV bekannt) gemusterten Männern mit Flinte im Arm begegnen könnte. Nach freundlichem Grußaustausch ist es dem Fremden eventuell vergönnt, in eine 800 Jahre alte Fattoria gebeten zu werden, wo der Waidmann sich als Winzer mit seinem Vornamen Cosimo vorstellt und einem eine "anatra" andient, weil gestern 39 davon vom Himmel geholt wurden, sich aber niemand fände, das Zeug zu entfedern. Wer auch nach dem zweiten Glas vom hoch prämierten Chianti Classico (s. o.) dankend ablehnt, wird zumindest mit dem toskanischen Winterdessert traktiert, mit Mutters frisch gebackenem Kastanienkuchen ("Torta di castagne"). Eine Art Kletzenbrot-Flade aus Maronimehl. Schön trocken.

Der Feinspitz besorgt sich direkt danach in einer der in jedem Dorf winkenden Vinotheken ein weiteres Glas vom sauberen Roten sowie eine Portion "pecorini". Schafskäse, der sich - von sardischen Lohnsklaven einst aus Heimweh in diesem Landstrich eingeführt - in allerhand kleinlaibigen Reifestadien zur toskanischen Nationalspeise gemausert hat und der mit einer Marmelade namens "mostarda" gereicht wird. Ohne Brot zwar, dafür aber auch ohne Fleisch. (Una Wiener/Der Standard/rondo/30/01/2009)