Im Fabriksbauch von Prada: Miuccia Prada und ihr Design-Direktor Fabio Zambernardi.

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Es gibt Modebücher, die blättert man einmal durch und legt sie dann auf den Couchtisch. Dort verstauben sie in ihrer ganzen Pracht, und gäbe es nicht hin und wieder Gäste, denen langweilig ist, sie würden nie wieder aufgeschlagen.

Es gibt aber auch Modebücher, die erklären eine Welt. Auch sie protzen mit wunderschönen Bildern, aber diese sind nicht Selbstzweck. Der 708-Seiten-Wälzer, den das Mailänder Modehaus Prada jetzt rausgebracht hat, ist ein solches Buch. Viele der Bilder, die in ihm enthalten sind, sind nicht einmal sonderlich schön. Sie zeigen leere Hallen, einzelne Stoffmuster oder blasse Models. Und doch ist der Band, der nur den Namen des Modehauses im Titel trägt, eine kleine Weltreise. Sie geht mitten hinein in den Bauch eines Unternehmens, das die Mode der vergangenen drei Jahrzehnte stärker geprägt hat als die meisten seiner Konkurrenten. Prada mag zum Inbegriff eines Global Players geworden sein, eines aggressiven, unbarmherzig auf Gewinne ausgerichteten Unternehmens. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Vermählung von Mode und Architektur

Prada steht für Visionen, die in jeder Saison in ein neues Gewand gekleidet werden, für eine Vermählung von Mode und Architektur, für den intensiven Austausch zwischen Mode und Kunst, von Mode und Technologie. Wenn die Ablöse des Wortes Mode durch den Begriff Lifestyle je Sinn gemacht hat, dann für die Aktivitäten von Miuccia Prada und Patrizio Bertelli. Sie sind die streitlustigen Masterminds der Ende der Siebzigerjahre wiederbelebten Marke, und wie immer, wenn zwei Charaktere länger miteinander arbeiten, sind die Rollen klar verteilt: Er, der cholerische und unerbittliche Manager, sie die wenig kompromissbereite Kreative. Auf dem einzigen Bild im Band, auf dem sie beide zu sehen sind, dreht Miuccia dem Betrachter ihren Rücken zu - während er sie mit skeptischem Blick misst.

So ungleich dieses Paar ist, so vielfältig ihre umgesetzten Ideen, die der Band in ihrer ganzen Fülle dokumentiert. Das vom Architekten Rem Koolhaas eingerichtete Setting jeder einzelnen Modeschau (sie finden seit dem Jahre 2000 in einem umgebauten Fabriksraum in der Mailänder Via Fogazzaro statt) wird genauso gezeigt wie die spektakulären Architekturen der Prada-Flagship-Stores, die bei dieser Marke Epicenter genannt werden und von Herzog & de Meuron (Tokio) oder OMA (Los Angeles) eingerichtet wurden. Dokumentiert werden alle 3885 Outfits, die Prada seit 1988 auf den Laufsteg geschickt hat, aneinandergereiht all die blass grünen, über den ganzen Erdball verstreuten Verkaufsräume. Auch Pradas jüngstes Projekt, der im April vorgestellte Transformer in Seoul bekommt im Band den ihm gebührenden Platz. Das in Form eines Tetraeders gebaute Gebäude ändert je nach Drehgrad seine Funktion. Es ist damit genauso vielgesichtig wie das Unternehmen Prada selbst. Das Wort Modehaus beschreibt nur mehr einen kleinen Teil von Pradas Realität. Prada ist eine Imagefabrik mit angeschlossener Produktabteilung. Das wird spätestens mit diesem Buch deutlich. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/20/11/2009)