Sant'Eustachio und Tazza d'Oro

Foto: Eleanor Murkett

Zwei römische Kaffeebars, die sich das Match um den besten heißen Schluck untereinander ausmachen.

Foto: Gregor Fauma

Wenn in Wien vom Derby [Dahbi] die Rede ist, denken Veteranen an verlorenes Geld in der Krieau und eine Handvoll Fußballfans an das Match Austria gegen Rapid. Beim Derby [Dörbi] hingegen ist allen klar, worum es geht: Es geht um das große Wiener Derby [Dahbi] zwischen dem Sportklub und der Vienna, es geht um Klassenkampf auf dem Rollrasen und um G'spritzten gegen Bier. Aber was schert das die Römer?

Niente. Die Römer haben ihr eigenes Derby, bei dem sich Umlandfaschos mit Innenstadtflittchen auf den Sektoren duellieren. Das interessiert aber nur die.

Das wirkliche Match findet abseits der Tribünen des Stadio Olimpico statt, und zwar rund um das Pantheon. Es treten täglich gegeneinander an: die beiden Kaffee-Röstereien und Bars "Tazza d'Oro" und "Sant'Eustachio".

Was wurde nicht schon gestritten, wer den besseren Caffè hätte? Wie viel Kommentare internationaler Gourmetjournalisten wurden nicht schon veröffentlicht, ringend um Klarheit, wer die Nummer eins der Urbs sei?

Dieser Artikel wird den gordischen Knoten lösen, die Henne-Ei-Frage beantworten und mit wechselnder Voreingenommenheit ein klares Urteil fällen.

Ort erfüllter Sehnsüchte

Das Tazza d'Oro, jessas, das Tazza d'Oro! Ort erfüllter Sehnsüchte, präsent in allen Rom-Guides und mit seitengässlichem Blick auf das Pantheon schon "molto figo". Es war immer die Nummer eins, unüberröstbar und mit crema-dickem Abstand auf die endlose Masse namenloser Espressisti. Jahrelang schwärmte man ausschließlich vom Tazza d'Oro.

Unüberröstbar? Nur drei Katzenschreie entfernt, diametral auf der anderen Seite des Pantheons, hinter einem entzückendem Plätzchen, liegt bescheiden die Bar Sant'Eustachio, gut bewacht von einem weißen Hirschkopf mit Kreuz auf der Kalotte, der die gegenüberliegende Häuserfront ziert. Als herzensguter Tourist kann man schön vor der Bar Platz nehmen, diesen ur-römischten aller römischen Winkel genießen und den Caffè mit einem Goldnugget bezahlen. Dafür bekommt man den Service eines Service und muss sich nicht zuerst um die Bezahlung an der Kassa mit anschließender Prügelei um einen Platz am Tresen bemühen. Der Nugget ist gut investiert.

Die Bar selbst verströmt die Atmosphäre von Gregory Pecks Anzugshose (Bundfalte mit Gürtellinie zwischen erster Rippe von unten und Brustwarzen), in der er Audrey Hepburn für ein paar Stunden auf seinem Roller eine Bürgerliche sein ließ, also Mitte der 50er-Jahre.

Mit einer grundsätzlichen Schwäche für den Außenseiter wurde die Sant'Eustachio in Folge Favorit und Nucleolus diverser Touristenführungen. "Schmeckt Ihr diese Tiefe? Habt Ihr jemals so etwas schaumig-heißes getrunken ...?", wurden Ignoranten genervt.

Das Tazza d'Oro ist moderner und deutlich unrömischer. Die Menschen stellen sich brav in einer Reihe an, um zu zahlen und dann ihren Espresso zu konsumieren, oder schöner noch, direkt in der Rösterei ein Packerl Bohnen zu kaufen. Es bereitet großes Vergnügen, den Röstvorgang zu beobachten und angereiste Wienerinnen und Wiener wären fast geneigt, jemanden aus der Warteschlange vorzulassen, nur um den Duft und die Atmosphäre länger aufzunehmen. Fast.

Coolnessfaktor tritt in den Hintergrund

Preislich pecken die beiden einander keine Augen aus, Kilo wie Tasse kosten ähnlich. Nun zu den unwesentlichen Details, wenn man Römer ist - und zu den wesentlichen Details, wenn man es nicht ist: Farbe, Konsistenz und Geschmack des Caffès - der Coolnessfaktor tritt in den Hintergrund. Vor Ort wird selbst der Ungeübte feststellen, dass der Espresso der Sant'Eustachio schaumiger, cremiger, in Summe schmeichelnder glutheiß den Schlund hinunterfährt. Auch im Tazza d'Oro schmeckt's. Der Espresso, wie wir Tedeschi sagen (no, dell'Austria!), ist dunkler, kräftiger, weniger schaumig, aber mit deutlich mehr Druck am Gaumen. Er würde den Lucky-Luke-Test - Hufeisen in den Kaffee, geht's unter, war es zu viel Wasser - prompt bestehen.

Haha! Aber halten die Bohnen ihr Versprechen auch außerhalb ihrer gut eingefahrenen Luxuswasserpressen? Oder ist das wieder nur dieses verdammte Ouzo-Phänomen?

Je zwei Kilo, hübsch verpackt, überschreiten die Grenze und matchen sich in Wien mit einer jahrzehntealten Siebträger-Gaggia, einer Gaggia Classic. Und siehe da, während in Rom der eustachische Espresso mangelnde Power durch schaumige "Kremischkeit" wettmacht, so gelingt der Gaggia dies nicht zur Gänze. Der Caffè des Tazza d'Oro hingegen bleibt maximal kräftig. Duftend zäh ziehen sich zwei braun-changierende Kaffeebohnenextraktfäden langsam in die Tasse (von Nannini aus Siena, versteht sich) und füllen diese mit unbändiger Lebenslust, Motorino-Geknatter und Alarmsirenen gestohlener Autos - schluck, schluck, und für einige Minuten sammelt sich eine ganze Stadt im Kopf. Das Tazza d'Oro gewinnt die Mutter aller Derbys. (Gregor Fauma/Der Standard/rondo/14/05/2010)