Auf die Dosis kommt es an: Dass man auch als Dame auf Schwartel & Co nicht verzichten muss, wissen kluge Triestinerinnen seit Generationen.

Foto: Georg Desrues

Bei da Pepi wird der Kren noch von Hand gerissen,...

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...bevor er über Kaiserfleisch, Ohrwaschl, Fußwurst und anderes Gesottenes...

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...von der Sau gestreut wird.

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Auf den ersten Blick ist Triest nicht mehr das, was es einmal war. Die Hafenstadt an der nördlichen Adria, die man noch vor wenigen Jahren "die vergessene Stadt" nannte, hat sich gemausert: Überall wird renoviert, geputzt, verhübscht. Man spaziert durch neu gepflasterte Fußgängerzonen, vorbei an den schicken Geschäftsauslagen internationaler Modemarken oder sitzt in designten Bars und Cafés.

Statt des auf vielschichtige Art muffigen Dufts des untergegangenen Habsburgerreichs liegt heute das sterile Flair der Globalisierung in der Luft. Der düstere Charme des Verfalls und des Vergessenseins, der dieser Stadt so lange anhing und sie Wien so ähnlich machte, ist dem grellen Licht der adretten Neuzeit gewichen. Triest ist italienischer und internationaler geworden. Dabei ist der "italienische" Aspekt eigentlich der ungewohntere. Denn international ist Triest schon lange – wenn auch in einem älteren, imperial geprägten Sinn. Über Jahrhunderte war und ist es das Zusammentreffen der drei großen Sprachgruppen Europas, das die Einzigartigkeit der Stadt ausmacht. Germanen, Lateiner und Slawen prägten hier Architektur, Kultur – und natürlich auch die Küche.

Dem Schweinernen verschrieben

Drum sollte man sich durch Schilder von McDonald's und italienischen Ketten wie Rossopomodoro auch nicht zu sehr blenden lassen: Gleich unter der gelackten Oberfläche ist es nämlich eh noch da, ungebrochen und sehr lebendig: das alte Triest. Und am besten entdeckt man es in den Buffet (ohne Umlaut ausgesprochenen, Anm.) genannten kleinen Lokalen, in denen die Triestiner gerne auf einen Imbiss einkehren.

Das berühmteste unter ihnen heißt "da Pepi" und befindet sich in der Via della Cassa di Risparmio, mitten im Zentrum und nahe der Börse. Zwar wurde auch diese Straße vor kurzem in eine beliebige, adrette Fußgängerzone verwandelt, doch das Buffet da Pepi – 1897 an dieser Stelle von Pepi Klajnsic gegründet – bleibt unverändert authentisch und ganz und gar unschick. Das liegt schon einmal an seinem Speisenangebot: Während andere Triestiner Buffets die lokale Hausmannskost in ihrer ganzen Vielfalt zelebrieren und auch Fisch und Meeresfrüchte anbieten, hat sich das da Pepi fast vollständig und ausschließlich dem Schweinernen verschrieben.

Jenseits aller touristischen Italien-Klischees also werden hier verschiedenste gesottene Fleischbrocken von einem Herrn aus einem dampfenden, in den Tresen eingelassenen Kessel gefischt, auf einer Marmorplatte tranchiert und entweder in einer Art Semmel oder auf einem herzigen, schweinderlförmigen Teller angerichtet. Dabei hat der Mann das selbstbewusste Auftreten eines guten Barristas oder gar eines Pizzaiolos und ist nur für diesen einzigen Arbeitsgang zuständig. Den zweiten übernimmt ein Kellner, indem er Senf zum Fleisch gibt und frischen Kren darüber reißt. Letzterer heißt hier nicht etwa italienisch "raffano", sondern gut österreichisch – beziehungsweise slawisch – Cren.

Exotisches und Vertrautes

Unter den angebotenen Fleischteilen gibt es Exotisches ebenso wie Vertrautes. In die erste Kategorie gehören sicherlich: Muso (Schnauze), Orecchia (Ohrwaschl), Testina (Kopffleisch) Cotechino (Schwartenwurst) und Zampone (Fuß). In letztere: Lengua (Rindszunge), Vienna (Frankfurter), Pancetta (Selchbauch) und "Kaiserfleisch", unter dem man hier nicht wie in Wien das imperiale Bauchfleisch, sondern Selchkarree versteht. Bester Ausdruck der kulinarischen Dreifaltigkeit Triests ist mit Sicherheit die Wurst Namens "Cragno", deren italienischer Name auf die slowenische Stadt Krainj (Deutsch: Krainburg) verweist, die wiederum die Hauptstadt des ehemaligen Kronlands Krain ist. Es handelt sich also um nichts anderes als um die – auch im südlichen Österreich beliebte – slowenische Nationalwurst Krainer (kranjska klobasa), die man in Wien hauptsächlich in ihrer eitrigen Variante kennt.

Zu alldem gibt's als einzige Gemüsebeilage das im Frischgemüseland Italien (Ausnahme: Südtirol!) üblicherweise geschmähte Sauerkraut: Crauti! Eine weitere schöne Reminiszenz an die königlich-kaiserliche Vergangenheit Triests ist das gut gezapfte "Dreher"-Bier. Es trägt den Namen der österreichischen Bier-Dynastie, die 1869 hier eine Brauerei gründete. Die wurde leider 1974 von Heineken geschluckt und die Produktion verlagert.

Nadelstreif neben Latzhosen

Die Gäste des da Pepi kommen aus allen Schichten der Gesellschaft: An den begehrten Tischen sitzen Geschäftsleute im Nadelstreif neben Bauarbeitern in Latzhosen auf hölzernen Schemeln und teilen sich imposante gemischte Fleischplatten (die Schweinderlteller gibt's in verschiedenen Größen). Dazwischen stehen elegante Damen und halten prall gefüllte Weckerln in der einen und ein Gläschen Prosecco (natürlich vom Fass!) in den Fingern der anderen Hand.

Als "italienische Küche" lässt sich das kaum bezeichnen, mit der vielgerühmten Mittelmeerdiät hat es noch weniger zu tun. Aber selbst wenn man mit einem Adria-Kurztrip nicht unbedingt Geselchtes mit Kraut und Kren verbindet: Triest war eben immer näher an Wien als an Rom oder Neapel. Und auf ein Antipasto di pesce crudo oder einen Teller Spaghetti mit Vongole kann man ja zum Abendessen immer noch gehen. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/18/06/2010)