Der Erdapfel heißt ja nicht zufällig so:

Foto: Klaus Fritsch

Sein Aroma kann er nur bei korrekter Lagerung bewahren: kühl, dunkel und - vor allem - ungewaschen. Nur Ignoranten kaufen saubere Erdäpfel .

Foto: Klaus Fritsch

Die blaue Trüffel gehört ins Entenfett. Nichts kitzelt ihr nussiges Aroma besser heraus. Erst wird sie in gut gesalzenem Wasser knackig gekocht und dann im heißen Fett geröstet, bis sie außen knusprig, innen cremig wie eine Maroni ist. Der Linzer Delikatesse hingegen steht etwas Parmesan auf dem gekochten Fleisch am besten, um ihre Spargelnote auszuspielen. Und die Zyklame braucht nichts außer etwas Butter, um genau so zu schmecken, wie man sich einen Erdapfel wünscht: urig, erdig, zum Wohlfühlen. Der Knollenconnaisseur krönt sie mit einem Löffel Kaviar.

Bis Ende Oktober füllen Franz und Christa Hobiger wieder ihren Keller mit den frischen Köstlichkeiten. Vor 15 Jahren begannen sie, Erdapfelraritäten anzubauen, heute wachsen 40 verschiedene Knollenarten auf ihren Feldern im Waldviertel. Die Nachfrage ist weit größer als das Angebot - denn gute Erdäpfel sind schwer zu kriegen im Land der Sättigungsbeilage. Dabei leitet sich der Name Kartoffel vom italienischen Tartufolo - für Trüffel - ab.

Die Franzosen nennen den Erdapfel immer noch gelegentlich Trüffel und geben ihren zahlreichen Rezepten royale Namen: "dauphin", nach Art der Thronfolgerin wird er zubereitet, oder "duchesse", nach der der Herzogin. 20 verschiedene Arten, ihn in Form zu schneiden, kennt der französische Koch. In Österreich dagegen hat der Erdapfel ein Imageproblem - weil er schlecht behandelt wird.

Ein geschundenes Gemüse

Irgendwann hatte er das Pech, zum Grundnahrungsmittel zu werden. Seither ist er ein geschundenes Gemüse: Im großen Stil wird er beregnet und mit Stickstoff zur uniformen Riesenknolle aufgepumpt. Manche Hersteller brüsten sich gar auf der Verpackung, "keinen Klärschlamm" auf ihre Felder auszubringen - ganz toll. Gewaschen und oft gegen verfrühtes Austreiben begast, schwitzt er dann in Plastiksäcken vor sich hin oder welkt im Papiersack. Schön günstig ist er halt. Das macht ihn zum Liebling der Großküchen und Schrecken des Freibad- und Kantinenbesuchers. In zu kalten Fett ersäuft oder in Salzwasser fast aufgelöst verliert er langsam seine Esser: 92.000 Tonnen Erdäpfel wurden 2004 noch in Österreich im Supermarkt verkauft, nur noch 81.500 waren es 2008.

Zwölf bis 15 Sorten füllen bei uns 95 Prozent der Regale, und nicht einmal deren Namen finden sich mehr auf der Packung. Nur "mehlig", "vorwiegend festkochend" und "festkochend" steht dort, je nachdem, wie viel Stärke und Flüssigkeit in der Knolle sitzt. Dabei sieht auch der botanische Laie den Unterschied: Je kleiner und länglicher, desto festkochender, je runder, desto mehliger ist der Erdapfel. Der tristen Dreiteilung stehen weltweit etwa 800 verschiedene Speisekartoffelarten gegenüber. Die meisten fühlen sich im Waldviertel sehr wohl. Der Boden hier ist ganz nach des Erdapfels Geschmack: leicht sauer, sandig und nährstoffreich. Am allerliebsten hat die Knolle vulkanische Böden. Mehr als 30 Grad heiß sollte es am Tag nicht werden, in der Nacht darf es schön kühl sein, damit die Pflanze sich wohlfühlt.

Der Erdapfel ist höchst sensibel. Einmal falsch angefasst, ist seine empfindliche Haut verletzt, und er wird binnen kurzer Zeit krank, oder fängt an zu schimmeln. Waschen verträgt er gar nicht: Weil die Knolle lebt und atmet, verdunstet mit der Zeit ihre Flüssigkeit, Erde auf der Schale sorgt dafür, dass er länger prall und saftig bleibt. Sobald er ab ist, beginnt der Verfall: Der Geschmack verödet, der Erdapfel treibt aus oder schrumpelt auf ein zähes Erdleder zusammen. Schön schmutzig und bei luftigen vier bis sechs Grad im Dunklen, etwas feuchten Keller gelagert: So bleiben manche Sorten frisch bis ins Frühjahr.

"Rosa Tannenzapfen"

Auf den Feldern der Hobigers gedeihen die Cyklamen, eine Sorte aus Ungarn mit roter Schale und weißem Fleisch, die sich zu einem elfenbeinfarbenen Püree stampfen lassen und auf den Tellern des Le Ciel in Wien landet; die "rosa Tannenzapfen", eine mehr als 150 Jahre alte Sorte aus England, deren kleine, zapfenförmige Knollen zu einem herrlich bissfesten Salat geschnipselt werden; oder die blaue "Trüffel", die nur in ganz besonders guten Jahren groß und gut wird, weil sie erst so furchtbar spät reift.

Heuer wird das eher nichts. Der Erdapfel mag ein feuchtes Frühjahr und einen trockenen Sommer, die diesjährige Sommersintflut goutierte er gar nicht. Die spätreifen Sorten sind besonders hart getroffen: Sie brauchen länger ein intaktes Kraut, um auszureifen. Manche Sorten vertragen die Witterung dagegen besser: Die neueste Knolle auf den Feldern der Hobigers ist die Kum Yung, eine sehr mehlige Sorte, die Bekannte aus dem Himalaya mitbrachten. Sie ist resistent gegen die gefürchtete Krautfäule. "Es ist wie beim Briefmarkensammeln. Wenn die Leute einmal wissen, du hast viele Erdäpfel, dann bringen sie dir immer neue Sorten mit", sagt Hobinger.

Die Erde im Waldviertel ist voll mit kleinen scharfen Granitsplittern, die die Hobigers dazu zwingen, mit der Hand zu ernten: In der Maschine würden sie die Schale verletzen. Außerdem bauen sie vor allem alte Sorten an, deren Schalen dünner und der Ertrag niedriger ist. Der Mehraufwand zahlt sich aus. Auf dem Großmarkt bekommen Bauern für Bio-kartoffeln je nach Jahreszeit zwischen 20 und 40 Cent pro Kilo, die Hobingers verlangen im Ab-Hof-Verkauf je nach Sorte 70 Cent bis 2,50 Euro.

Ab Mitte September beginnt im Waldviertel die Haupterntezeit für Erdäpfel. Zwar werden die "Heurigen" schon im Juni aus der Erde geholt, so richtig ausgewachsen und "schalenfest" sind die meisten Sorten aber erst im Herbst. Auch ihr Geschmack entwickelt sich mit der Zeit: Jene, die im Boden bleiben dürfen, bis sie sich von selbst von der Wurzel lösen, entwickeln das vollste Aroma. Und nur weil man sie lagern kann, muss man das freilich nicht tun - des Erdapfels oberirdischer Namensgeber schmeckt schließlich auch frisch gepflückt am besten. (Tobias Müller/Der Standard/rondo/15/10/2010)