Am Día de los Muertos wird rund um den Grabstein gefeiert.

Foto: Reiner Zettl

Die sogenannten Tapetes aus Sand und Blumen heißen die Toten willkommen. Wenn es sein muss, auch mit Bier.

Foto: Reiner Zettl

"Hola, Gringo! Setz dich zu uns! Lust auf ein Gläschen Mezcal?" Schon wird die Flasche gezückt, schon wird der goldig braune Agavenschnaps randvoll in einen Pappbecher gegossen. "Da hast du! Chinchín!" Graciela Pedro Silva arbeitet in der Casa Colonial, einem kleinen, entzückenden Hotel in der Innenstadt von Oaxaca. Gemeinsam mit Arbeitskollegen sitzt sie heute am Friedhof und feiert die kurze Stippvisite bei ihrem toten Chef. "Thorny war ein guter Mann. Auf Thorny!"

In den letzten Oktobernächten mutiert der Panteón General, der größte der Friedhöfe von Oaxaca, zu einem Rummelplatz mit Essen, Trinken, Tanzen. Die Feiern dauern drei Tage. Und zum Feiern hat man guten Grund, denn der Día de los Muertos soll - anders als bei Allerheiligen und Allerseelen - nicht zum Trübsalblasen verwendet werden, sondern dient dem fröhlichen Wiedersehen der Lebenden mit den Toten.

"Ich sitze hier schon seit Stunden, ich glaube, ich muss jetzt endlich mal was essen", sagt Jane Robison. "Wollen Sie auch etwas?" Gemeinsam mit ihrem Mann Thornton, kurz Thorny, zog die Amerikanerin vor 18 Jahren aus der San Francisco Bay Area hierher. Sie wollten ihrem Leben einen neuen Kick geben und sich endlich den lang ersehnten Traum vom eigenen Hotel erfüllen. Im Mai 2008 kam Thorny bei einem Autounfall ums Leben. Jane saß auch in dem Wagen. "So, das ist die Geschichte. Aber schließlich sind wir hier nicht in Europa oder in den USA, wo wir uns jetzt heulend in die Arme fallen würden, sondern in Mexiko. Und deswegen wird gefeiert!"

Wasser, Bier und Schnaps

Auf Thornys Grabstein ist ein großes Tischtuch ausgebreitet. Es gibt Wasser, Bier und Schnaps. Die Flaschen kreisen um das Grab. In großen Kochtöpfen, eingewickelt in dicke Handtücher, die das Essen warmhalten sollen, liegen gedämpfte Maiskolben. Manche knabbern genüsslich daran wie die Kinder, andere bevorzugen die mühsame Variante des Herauslösens der Kerne mit anschließendem Löffeln. Letzteres erfolgt in einer Salsa aus Zitronensaft und Mayonnaise. Das Rezept ist gewöhnungsbedürftig.

In einem anderen Topf gibt es Tamales mit Mole, eine Spezialität der Region. Tamales sind gedämpfte Maisblätter, die mit einer dicken, festen Masse aus Maismehl, Schmalz, Fleisch, Käse und Reis gefüllt werden. Der Verzehr eines einzigen Tamale gibt einem genug Energie, um bis in die frühen Morgenstunden auszuharren. Traditionellerweise serviert man dazu rote oder braune Mole. Die dunkle Sauce besteht aus 20 bis 25 unterschiedlichen Zutaten. Zu den wichtigsten Bestandteilen zählen Chilischoten, Tomaten, Anis, Kümmel und Bitterschokolade. Gegessen wird das Ganze mit Pan de los Muertos, einem speziell zum Anlass gebackenen Totenbrot mit Anis und Orangenblütenwasser, dem so genannten Agua de Azahar.

Doch die wichtigste Ingredienz des Día de los Muertos ist der Zucker. Freunde und Familienangehörige beschenken einander mit Skelettfiguren und Totenschädeln aus Zuckerguss und Marzipan. Die Calaveras de Dulce sind geschmückt mit Lebensmittelfarbe und viel Geduld. Manchmal - wie könnte es anders sein - ist auch Schokolade mit im Spiel. Beim Austausch der kiloschweren Kaloriengranaten gedenkt man nicht nur der Verstorbenen, sondern auch der Lebenden: Man wünscht einander einen schönen und geruhsamen Tod.

Was aus europäischer Sicht befremdlich wirken mag, ist im Land der Azteken, Olmeken und Zapoteken eine Selbstverständlichkeit. Der Tod ist Teil des Lebens, von Tabuisierung keine Spur. Während auf den Gräbern Feierlaune herrscht, werden in den eigenen vier Wänden Totenaltäre und Gabentische, sogenannte Ofrendas, aufgestellt. Geschmückt mit Ringelblumen, Chrysanthemen und den gelben und orangefarbenen, herrlich duftenden Cempoalxochitl - die meisten sagen auch Flores de Muertos dazu - will man den Toten den Weg weisen.

Lieblingsspeisen und Laster aus Lebzeiten

Der Familie sind alle Mittel recht: Wem der Blumendekor mit Kerzenschein und Weihrauchduft nicht attraktiv genug erscheint, der lockt die Toten mit Lieblingsspeisen und Lastern aus Lebzeiten. Nicht selten befinden sich auf den Totenaltären Schnapsflaschen, Zigarettenschachteln, Schokolade. Schließlich will man, dass sich die heimgekehrten Seelen wohl fühlen. Ein obligates Glas Wasser am Altar sorgt dafür, dass die Weitgereisten rasch wieder zu Kräften kommen.

Doch das Einzigartige am Día de los Muertos ist bedroht. Aus den USA schwappen bereits Kostüme und Kürbisse über. Immer öfter werden die Friedhöfe von Karussellen, Schießbuden und Zuckerwatte-Ständen umzingelt. Aus diesem Grund wurde der wichtigste Feiertag der Mexikaner 2003 von der Unesco auf die Liste der "Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" gesetzt.

"Kommen Sie! Notizen machen können Sie morgen auch", sagt Jane Robison. "Wenn Sie weiterhin so nachdenklich in die Gegend schauen, dann vergraulen sie mir noch meinen Thorny." Die drei Mariachi, die am Grabstein sitzen, zupfen schon die Saiten. "Jetzt wird getanzt!" (Wojciech Czaja/Der Standard/rondo/29/10/2010)