Jenny an ihrem 78. Geburtstag im Januar.

Foto: Ari Seth Cohen

Kurz nachdem der Wecker geläutet hat, surrt die Aufstehhilfe an das Bett der 90-Jährigen und wartet, dass sie sich am Griff nach oben zieht. Prompt geht das Licht im Bad an. Wenn die Aufstehhilfe 24 Stunden nicht betätigt wird, setzt sie einen Notruf ab.

Es ist eine Zukunftsvision, allerdings eine durchaus vorstellbare. Denn immer mehr seniorengerechte Produkte mit einer Fülle von Funktionen drängen auf den Markt. Angetrieben wird der Trend vom demografischen Wandel. Die Gruppe der über 60-Jährigen nimmt in Österreich kontinuierlich zu. 1,65 Millionen Menschen sind es zurzeit. 2030 soll sich ihre Zahl nahezu auf 2,81 Millionen verdoppelt haben.

Der wohl größte Wunsch der älteren Menschen ist es, so lange wie möglich ein selbstbestimmtes, sicheres Leben in den eigenen vier Wänden zu führen. Nur ungern wechseln sie ins Alten- oder Pflegeheim. Eine wachsende Industrie der sogenannten Gerontotechnologie setzt dieses Bestreben in bare Münze um: Sie bietet Hightech für mehr Autonomie, für eine höhere Sicherheit und soziale Teilhabe. Die meisten Erfindungen - etwa Seniorenhandys mit großen Tasten und einfacher Menüführung - berücksichtigen, dass die Sinne und die körperlichen Fähigkeiten im Alter schwächer werden.

Blühende Kaufkraft

Die Unternehmen bauen auf die blühende Kaufkraft der Senioren. Die jungen Alten mit 60 bis 70 Jahren geben 75 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens für Konsumgüter aus, berichtet Bernd Seeberger, Leiter des Institutes für Gerontologie und demografische Entwicklung in Hall in Tirol. "Das Durchschnittsalter, eine Harley Davidson zu kaufen, ist 61 Jahre", verdeutlicht er.

"Mobilität ist alles entscheidend", kommentiert Seeberger. "Deshalb hat bei den über Siebzigjährigen auch der Rollator so eingeschlagen." Diese Form der Gehhilfe hat das einstige Wahrzeichen der älteren Generation, den Gehstock, abgelöst. Im Winter sieht man immer mehr ältere Menschen mit Spikes durch den Schnee stapfen.

Ursprünglich sollten gerontotechnische Produkte nur barrierefrei sein. Heute müssen sie allen Generationen gerecht werden, betont Seeberger. In der Branche ist dieses Mantra nicht zu überhören: "Wer für die Alten konstruiert, schließt die Jungen mit ein. Wer für die Jungen konstruiert, schließt die Alten aus", rezitiert Rolf Joska, leitender Ingenieur von der Deutschen Gesellschaft für Gerontotechnik.

Dynamische Anmutung

Doch bisher werden nur wenige Innovationen diesem Anspruch gerecht: Automatische Licht- und Wassersteuerungen sind mittlerweile nicht mehr nur in Haushalten älterer Bewohner beliebt, sondern auch in Hotels und in der Gastronomie. Relaxsessel, die sich elektronisch in verschiedene Positionen manövrieren lassen und teilweise noch Massagefunktionen beinhalten, sind gegenwärtig großer Trend. Erfunden wurden sie für ältere Menschen, damit diese leichter aus dem Sessel aufstehen können.

Den meisten Exemplaren sieht man diese Herkunft dank ihres jugendlichen Designs und ihrer dynamischen Anmutung inzwischen nicht mehr an. Die Einparkhilfe, nennt Katharina Pils vom Wiener Ludwig- Boltzmann-Institut für angewandte Gerontologie, eine weitere Innovation, die ursprünglich für Ältere am Steuer konzipiert wurde, doch heute jung und alt routinemäßig in die Lücke lotst. Leuchtende Treppengeländer und Computermäuse mit Mulden für die Finger könnten diesen Sprung womöglich ebenfalls schaffen.

Es sind längst gelöst geglaubte, triviale Aufgaben, an denen Menschen mitunter scheitern: Die metallene Zuglasche an der Thunfischdose reißt nach einigen verzweifelten Knickversuchen ab. Der Stecker vom Toastgerät oder vom Bügeleisen kann mit letzter Kraft nur am Kabel aus der Steckdose gezogen werden. Dabei gibt es seit Jahren Spezialgeräte zum bequemen Öffnen von Flaschen und Dosen sowie erste Steckerziehhilfen. "Die sind aber nicht bekannt", betont Seeberger und leitet aus diesem Missstand ab: "Die Gerontotechnik hat ein Marketingproblem." Es gibt Berührungsängste der Industrie mit den Alten, ergab eine Befragung von 4000 deutschen Unternehmen des Marktforschungsinstitutes TNS Infratest von 2009. Zu Produkttests werden über 65-Jährige erst gar nicht geladen.

Einbeziehung in die Entwicklung

Der Graben zwischen Erfindern und Kunden erklärt so manchen Flop. "Von den Krankenkassen wissen wir, dass mehr als die Hälfte der Hörgeräte von den über 70-Jährigen nicht getragen wird", berichtet Seeberger. Renommierte Hersteller wie Siemens mühen sich, die Geräte immer intelligenter zu machen und möglichst fein auf das menschliche Gehör abzustimmen. Doch die Menschen können die komplexe Technik häufig nicht bedienen. Herdplatten, die sich selbst abschalten, verstören ältere Menschen oft, da sie die Funktion nicht kennen und verstehen, nennt er ein weiteres Beispiel einer Fehlentwicklung. Daraus leitet sich eine simple Forderung ab: Ältere Menschen müssen in die Entwicklung neuer Produkte einbezogen werden.

Komplexere Innovationen müssen in Anwenderschulungen erklärt werden, ergänzt Gesundheitspsychologin Ilse Kryspin-Exner von der Universität Wien. Das Gmundner Unternehmen Plejaden ist mit seiner Spezialsoftware für demente Menschen in diesem Punkt mit gutem Beispiel vorangegangen. Das Computerprogramm wird über sehr wenige, sehr große Auswahltasten auf einem Touchscreen bedient. Zu jeder Taste gibt es ein visuelles Symbol, etwa einen Briefkasten für die elektronische Post.

In Schulungen lernen demente Menschen, mit dieser Software mit Familienangehörigen zu kommunizieren, Fotos zur Unterstützung der Erinnerung zu betrachten und die persönliche Lieblingsmusik anzuhören. Vor allem die individuelle Pflege etwa die Musiktherapie oder die Gedächtnisarbeit anhand der Lebensbiografie werden mit dem Programm unterstützt. Unter 900 Produkten wurde die Software in den USA 2009 als bestes Produkt für Senioren und ihre Angehörigen ausgezeichnet. (Susanne Donner/Der Standard/rondo/11/02/2011)