Alt genug für jeden Stil: Die coolen Senioren von New York.

Foto: Ari Seth Cohen

Eigentlich ist Tziporah Salamon (60) fast zu jung für Ari Seth Cohens Blog. Angesichts der Art, wie sie Farben und Muster kombiniert, machte der Blogger aber gerne eine Ausnahme.

Foto: Ari Seth Cohen

Diese Dame fotografierte Ari Seth Cohen in London. Sie war gerade dabei, im Taxi wegzufahren.

Foto: Ari Seth Cohen

Richard (78) und Carol (67) haben einander am College kennengelernt. Richard war Carols Kunstprofessor.

Foto: Ari Seth Cohen

Kommt Zeit, kommt Rat und möglicherweise auch Stil. Davon geht zumindest der New Yorker Ari Seth Cohen aus. Auf seinem Blog "Advanced Style" fotografiert der 29-Jährige abseits der üblichen Streetfashion-Blogs diejenigen, die ihren Stil schon vor vielen Jahrzehnten gefunden haben. Am liebsten hat er dabei jene, die siebzig, achtzig oder gar neunzig Jahre alt sind. Und manchmal darf auch ein heißer 50-Jähriger vor seine Linse.

Cohens Blog wirkt wie ein Fenster in ein Paralleluniversum. Jugend ist hier verpönt. Dagegen gilt: "Je älter das Model, desto besser". Die Menschen, die ihm vor die Kamera laufen, tragen Vivienne Westwood-rote Haare und Hüte in grellen grafischen Mustern. Der notwendig gewordene Gehstock wird zum passenden modischen Accessoire. "Sie shoppen in ihrem eigenen Kleiderschrank und tragen das "Best of" aus ihren Lieblingsdekaden, also den 1930er-, den 1940er- oder 1950er-Jahren", erzählt Cohen.

Fortgeschritten - fortschrittlich

Seine Großmutter Bluma, sagt Cohen, sei seine beste Freundin gewesen. In San Diego, Kalifornien aufgewachsen, ging Cohen zunächst nach Seattle, um Kunstgeschichte zu studieren. Im Mai 2008 zog er nach New York und arbeitete bis letzten Sommer im Bookstore des New Museums. Seitdem steckt Cohen mitten in verschiedenen Projekten rund um seinen Blog. Er realisierte eine Fotoausstellung bei Selfridges in London, bald wird es ein Buch und eine Dokumentation über "Advanced Style" geben. Das Interesse an Cohens Blog ist groß. Seine Ladys und Gentlemen beweisen jeden Tag aufs Neue, dass "fortgeschritten" mitunter auch "fortschrittlich" bedeuten kann. Die Looks, die Cohen mit der Kamera einfängt, zeigen keine Seniorenmode, sondern transportieren ein Bild der sogenannten "Neuen Alten".

Franz Kolland, Soziologie-Professor an der Universität Wien, ist sich dennoch sicher: "Die 'Neuen Alten' per se gibt es nicht". Demografische Prognosen zur zunehmenden Überalterung der Gesellschaft und Begriffe wie "Silver Generation" oder "Best Ager" diskutieren schon seit geraumer Zeit, inwiefern von einem neuen Altersbilds der Generation 50plus gesprochen werden muss. Wachsender Lebensstandard und veränderte Werte der 1968er-Generation sind zwei Gründe von vielen für einen jüngeren Lebensstil der älteren Bevölkerung. Allerdings handelt es sich bei den sogenannten "Best Agers" meist um Menschen in der mittleren Lebensphase, die vor allem von der Werbeindustrie als Zielgruppe definiert werden. Die "Neuen Alten" sind, so Kolland, dagegen eine kleine Minderheit von zwanzig Prozent, die nach ihrer Pensionierung etwas Neuem nachgehen würden. Und - wie auch schon vor ihrer Pensionierung - weiterhin Wert auf ein gepflegtes Äußeres legen.

Die "Advanced Style"-Models verkörpern ein Lebensgefühl abseits von Hektik und Konsumstress. "Ich war immer schon inspiriert von Senior Styles", so Cohen, "auf anderen Fashion Blogs spielen sie kaum eine Rolle. Als ich nach Bildern von älteren Menschen googelte, ist mir aufgefallen, wie trist und depressiv diese oft sind. Was mich am Auftreten älterer Leute von Anfang an interessierte, war ihr natürlicher Umgang mit Mode, der über die Jahre hinweg frei von Trends und ohne langes Nachdenken einfach passiert. Genauso wichtig sind mir aber auch die Geschichten der älteren Menschen, und dass diese sich immer noch für viele kreative Dinge begeistern können."

Schöner mit Seegras

Tziporah Salamon (im Bild mit Fahrrad) ist eine von ihnen. Auf "Advanced Style" erzählt die 60-Jährige, wie wichtig es ist, auf sich selbst aufzupassen. Sie setzt auf eine simple Diät, bestehend aus organischem Gemüse, Körnern, Bohnen, Tofu, Seegras, Obst und Fisch. Außerdem würde sie Fahrrad fahren, laufen und tanzen gehen. "Ich bewege mich, ich bleibe aktiv und gehe den Dingen nach, die ich liebe", sagt Tziporah.

Auch die im Jahr 2008 von Soziologe Dieter Otten an der Universität Osnabrück durchgeführte "Die 50+ Studie" geht davon aus, dass sich verschiedene Lebensstile in der Altersphase ausdifferenziert haben. Zu den drei definierten Typen der Generation 50plus zählen der "klassische, konservativ denkende und wählende Typ", der sich als "Rentner" versteht und traditionell aus dem Milieu der kleineren Leute stammt. Zum zweiten Typ zählen die "Hedonisten der 80er- Jahre", die aus der Mittelschicht stammen und sich vor allem als Teil der Spaßgesellschaft verstehen, während der dritte Typ der Generation 50plus jene beschreibt, die sich am ehesten mit dem tradierten Bild der "Jungen Alten" decken. Diese Minderheit entstammt dem bürgerlichen, etablierten oder postmodernen, intellektuellen Milieu und engagiert sich vermehrt weiterhin in Projekten, ist offen für neue Ideen und verfügt über eine hohe Meinungsmacht.

Die besten Jahre des Lebens

Immer wieder spricht Ari Seth Cohen von dem besonderen Etwas, nach dem er auf den Straßen Ausschau hält. Es ist eine Art Aura, die ältere Menschen umgibt. Man könnte auch sagen: "Embrace your Age." Einssein mit dem Alter. "Illona ist jeden Tag aufs Neue eine Kämpferin", berichtet Cohen euphorisch über ein Mittagessen mit der 90-jährigen Ilona Royce Smithkin, "die besten Jahre ihres Lebens, so sagt sie selbst, wären die letzten zehn für sie gewesen".

Embrace Your Age. Diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind, zeigt Ari Seth Cohen nicht. Er dokumentiert gelungene Beispiele des Älterwerdens. Dass das junggebliebene Fünftel der älteren Bevölkerung imstande ist, durch Aktivität im hohen Alter - seien es Doktoratsabschlüsse oder Bergsteigerfolge - auf Jüngere positiv zu wirken, kann sich Soziologe Franz Kolland gut vorstellen. "Es fehlt allerdings nach wie vor an einem nicht jugendlich orientierten Verständnis von Aussehen, welches das Altern nicht negativ konstruiert", so Kolland.

Cohens Blog ist ein Beispiel für das Zusammenrücken der Generationen: "Ich denke, dass Mode prinzipiell eine Schnittschnelle zwischen Älteren und Jüngeren sein kann. Irgendwann merkte ich, dass nur wenige Menschen in meinem Umfeld Kontakt zu älteren Leuten haben. Daraufhin gründete ich meinen Blog. Wir können so viel von den Älteren lernen." Zum Beispiel: Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Stil - und vielleicht auch ein neues altes Selbstverständnis. (Nadine Obermüller/Der Standard/rondo/11/02/2011)