Rainer Balcerowiak: "Das demokratische Weinbuch", 128 S. / EURO 14,95, Mondo Communications 2010

Foto: Hersteller
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DER STANDARD: Sie haben "Das demokratische Weinbuch" verfasst. Schon im ersten Kapitel plädieren Sie für den Genuss. Geht das mit linken Positionen zusammen? Genießen ist doch eine bürgerliche Sache.

Balcerowiak: Das ist ein verhängnisvolles Missverständnis. Genuss ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wenn Linke sagen, sie streben eine humanere Gesellschaft an, mit Teilhabe von allen am gesellschaftlichen Reichtum, gehört dazu natürlich auch der Genuss. Ich bin sogar der Meinung, dass Linke, die nicht genussfähig sind, nicht wirklich links sein können. Die Freude am Genuss antizipiert ja auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die man letztendlich anstrebt.

DER STANDARD: Also wie Konstantin Wecker: Wer nicht genießt, wird ungenießbar?

Balcerowiak: Genau! In Frankreich oder Portugal haben die Feste linker Parteien sehr viel mit Genuss und Lebensfreude zu tun - mehr als die bei uns üblichen Maifeiern der großen Gewerkschaften.

DER STANDARD: Sie sprechen im "demokratischen Weinbuch" auch vom Recht auf Rausch. Hat es nicht geheißen: Ein denkender Arbeiter trinkt nicht?

Balcerowiak: Das war Bebel. Der hat ja auch gesagt: Meidet den Schnaps! Aber Rausch in den verschiedensten Formen hat die gesamte Kultur- und Entwicklungsgeschichte der Menschheit begleitet. Rausch ist ja auch die Suche nach Grenzerfahrungen. Wesentliche Werke der Literatur und der Musik sind kaum denkbar, wenn deren Schöpfer nicht auch Rauscherfahrung gesucht und gefunden hätten. Rausch heißt nicht Sucht; aber das ist ein schmaler Grat.

DER STANDARD: Wein ist eher nicht das proletarische Getränk. Das ist doch Bier. Wie stehen Sie zu Bier?

Balcerowiak: Das stimmt nur für bestimmte Länder. In Frankreich beispielsweise ist das Getränk der Arbeiterklasse immer der Wein gewesen. Ich hab auch nichts gegen Bier, bloß alles zu seiner Zeit. Ich hab auch was dagegen, wenn man versucht, überall Wein als vermeintlichen Ausdruck einer gehobenen kulinarischen Kultur zu implementieren. Ich kenne Kollegen, die schreiben darüber, welcher Wein zu Münchner Weißwürsten passen könnte. Das ist absurd. Wenn ich Weißwurst esse, trinke ich Bier. Ich würde das nicht in proletarisch oder unproletarisch aufteilen, sondern in passt oder passt nicht.

DER STANDARD: Nur sind viele Weine enorm teuer. Was darf denn guter Wein kosten?

Balcerowiak: Marktliberal betrachtet, darf er so viel kosten, wie der Markt hergibt. Und das tut er auch. Es gibt ja Weine, die über eintausend Euro kosten. Das hat Karl Marx schon erkannt, als er den Fetischcharakter von Waren definiert hatte, der sich vom Gebrauchswert komplett wegentwickelt. Das ist ein suggerierter Mehrwert, das ist Marketing. Ein gutes Beispiel ist der Opus One aus Kalifornien. Das ist im Prinzip Massenwein. Der wird für 180 Dollar verkauft. Das hat keinerlei Relation zu seinem irgendwie nachvollziehbaren Wert.

DER STANDARD: Was ist der Opus One wert?

Balcerowiak: 30 Euro würde ich ausgeben, das ist ein guter Wein.

DER STANDARD: Was können wir Konsumenten beitragen, damit die Qualität der Weine gut bleibt und trotzdem die Preise nicht explodieren?

Balcerowiak: Ganz einfach. Wir müssen uns informieren, was wir essen und trinken. Man wird als Weinkäufer systematisch in die Irre geführt. Es werden für billigste Weine in den Werbebroschüren unglaubliche Aromapaletten aufgelistet, was natürlich blanker Unfug ist. Es handelt sich um oft mehr oder weniger künstlich hinzugefügte Aromen. Es ist problemlos möglich, durch Aromahefen bestimmte Aromen zu implementieren, die haben aber nichts mehr mit dem Wein selbst zu tun. Man muss sich informieren: Wo kommen die Weine her, wie werden sie hergestellt, bekomme ich etwas Authentisches mit eigenem Charakter. Dann kommt man in eine sehr interessante Preisregion - um fünf bis zehn Euro. Da gibt es ungeheuer gute, spannende Weine. Voraussetzung ist, dass man Wein als Kulturgut und nicht nur als reines Getränk sieht.

(Thomas Neuhold/Der Standard/rondo/08/04/2011)