Auch Reisen nach Brüssel können Inspiration sein: Sein "Huevo Atomico" erschuf Balaguer, nachdem er das Atomium besichtigt hatte (oben). Den Mond anheulen reichte bei "Luna" (unten).

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Das Ei als Symbol der Kreation inspiriert Oriol Balaguer seit Jahren - ihm widmet er immer neue, abenteuerliche Schokoskulpturen.

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Pralinen in Kakaobohnenform, mit Füllungen, die selbst abgebrühte Gourmets in erstaunte Verzückung versetzen.

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Oriol Balaguer - laut Ferran Adrià der "womöglich bestausgebildete Pâtissier Spaniens".

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Mascletà - Feuerwerk - heißt die Praline in Kakaobohnenform, und sie ist ein Bestseller. Denn kurz nach dem ersten Bissen sperren Schokoholics erstaunt Augen und Mund auf - und lachen. Das Feuerwerk trägt seinen Namen zu Recht: Die Brausekugeln in der zartschmelzenden Pralinenmasse explodieren minutenlang auf der Zunge. Erfunden hat diese Praline samt ihrem Namen Oriol Balaguer.

Der 39-jährige Katalane ist der stille Superstar unter den spanischen Pâtissiers. Dass die "Pop Rocks", die an Freibad-Abenteuer in lange vergangenen Sommerferien erinnern, in der Praline monatelang "scharf" bleiben, ist der Akribie und der Erfahrung Balaguers zu verdanken - normalerweise lässt ihre explosive Wirkung in solch feuchtem Umfeld rapide nach. Wie überhaupt Mascletà Balaguers Philosophie recht gut transportiert: Die edle, kühle Verpackung, die (stets wiederkehrende) Form als Hommage an die Kakaobohne, der Glanz als Zeichen perfekten Handwerks, die idealtypisch schmeckende Pralinenmasse mit leichter Salzigkeit und zartem Mandarinenduft - und dann das total verspielte Überraschungsmoment, der Lärm, der aus der Praline für Erwachsene kommt.

Einmalige Erfahrung

Balaguer hat seinen Beruf gelernt, wollte von Kindheit an in die süße Küche. Mit 21 wurde er "Bester Konditor Spaniens", kurz danach kam er ins Team von Ober-Koch Ferran Adrià, der ihm nach wie vor Rosen als "womöglich bestausgebildetem Pâtissier Spaniens" streut. Aus einem geplanten Jahr in der Werkstatt des El Bulli wurden sieben. Das ist zehn Jahre her.

Und wenn er heute in seinem kleinen Büro ohne Tageslicht hinter dem "Studio" - der Schoko-Manufaktur - davon spricht, hört man immer noch den Respekt und die Dankbarkeit durch, am Erfolg des legendären Restaurants mitgearbeitet zu haben: "Die Erfahrung war einmalig. Am meisten hat mich beeinflusst, wie man Kreativität umsetzen kann. Wir haben uns immer gefragt, ob etwas anders geht, haben gelernt, alles zu hinterfragen." Balaguer sieht sich demnach auch nicht bloß als Chocolatier, sondern als Koch, Pâtissier und Bäcker.

Er liebt das Spiel mit Texturen. Inspirieren lässt er sich auf Reisen, durch Architektur und Design. In seinem Büro stehen schwere Bildbände, die er aus dem Regal zieht, um seine Vorstellungen von Form und Fragilität, von Skulptur und Struktur zu verdeutlichen. Schokolade ist für ihn das Grundprodukt mit der meisten Persönlichkeit. Aber um mit ihr "spielen" zu können, so Balaguer, ist viel Wissen über Temperaturen und Verhältnisse, über Konsistenzen und Techniken nötig.

So ist sein Dessert "Paradigma" entstanden, ursprünglich aus sieben Texturen Schokolade bestehend - und 2001 zum "Besten Dessert der Welt" gekürt. Mittlerweile sind es acht Texturen, die man der spiegelglänzenden Schokoladentorte von außen nicht ansieht. Das Rezept dafür steht in seinem - selbstverständlich zum besten der Welt gekürten - Dessert-Buch, das eine Pflichtanschaffung für Gastronomen sein sollte, die den immergleichen "flüssigen Schokoladekuchen" satthaben. Pro Kreation setzt er oft nur eine oder ganz wenige geschmacksintensive Zutaten ein. In Kombination mit den Texturen von cremig und knusprig, flüssig und schaumig, geleeförmig und prickelnd ist ein harmonischer Gesamteindruck oberste Prämisse.

Besser als Fußball

"Er hört nie auf zu lernen, zu experimentieren und zu motivieren", sagt Jakob Masana über seinen Freund Oriol Balaguer. Gemeinsam sind sie in Tarragona aufgewachsen. Aus der Sandkastenfreundschaft hat sich 2007 eine Geschäftsbeziehung entwickelt. Masana, dessen Vater Spanier ist, lebt schon lange in Niederösterreich und hat von hier aus den Generalimport für Österreich und Deutschland aufgebaut. Er erzählt, dass Balaguer als Jugendlicher sogar ein Angebot des FC Barcelona ausgeschlagen habe, weil er nicht Fußballer, sondern, wie sein Vater, Konditor werden wollte.

Heute hat Balaguer zwei Läden in Barcelona, je einen in Madrid, Tokio und Riad. Vergangenes Jahr überraschte er all jene, die in ihm nur den Molekular-Chocolatier sahen: Er hat in Barcelona die Bäckerei "Classic Line" aufgemacht, in der er traditionell und langsam geführte Brote anbietet. "Ein Bäcker macht auch Croissants - warum soll ich kein Brot machen?", erklärt er in der ihm eigenen entwaffnenden Art. "Brot ist meine Liebe, meine Leidenschaft. Ich genieße es mehr, wenn ich einen Hefeteig mache, als wenn ich Schokolade verarbeite." Einen Grund, sich auf irgendetwas zu beschränken, ein klares, schlankes Portfolio zu führen, sieht er nicht.

Wien ist altmodisch

Woher diese augenscheinliche Kreativität in der Stadt und deren Umland komme? "Barcelona ist kosmopolitisch, avantgardistisch. Malerei, Architektur und Design sind wichtig. Warum ist gerade das Silicon Valley zum Technologie-Zentrum geworden," gibt Balaguer die Frage zurück.

Ob er so eine süße Revolution auch in Wien, der Stadt, die für ihre Mehlspeisen Weltruhm genießt, für möglich halte? Die Antwort fällt ernüchternd aus: "In Wien ist alles so altmodisch. Hier in Barcelona traut man sich etwas - und wird dafür geschätzt."

Viele seiner Rohstoffe wie Safran oder Olivenöl kommen aus Spanien, ebenso die Kikos (geröstete Maiskörner), die er in einer anderen Praline verarbeitet. Bei der Schokolade verlässt er sich noch auf die französische Top-Marke Valrhona. Die Kuvertüre "Oriol 70 %" wird nach seinen Wünschen hergestellt. Die 3000-Kilo-Mindestbestellmenge reichen im Dezember genau einen Monat. Im Frühjahr war er in Peru, um sich ein neues Projekt anzuschauen: Dort sollen ehemalige Coca-Plantagen in Bio-Kakao-Plantagen umgewandelt werden. Reine Plantagenschokoladen sind aber kein Thema für ihn. Die würden nur einen Aspekt abdecken, den Geschmack. Und das ist für einen wie Oriol Balaguer viel zu wenig. (Katharina Seiser/Der Standard/rondo/30/09/2011)