Alte Fliesen, reifer Ziegenkäse und eine Küche, die man einfach lieben muss: Das Beaulieu im Wiener Palais Ferstel wagt es, französisch zu sein.

Foto: Heribert Corn

Eine reichhaltige Portion zarter Bouchot-Muscheln.

Foto: Heribert Corn

Wien, so heißt es, sei die einzige Großstadt überhaupt, in der man nicht anständig französisch essen kann. Wie das geht, ist ein Rätsel, über dem lokale Vielesser regelmäßig ins Grübeln kommen. Dass eine Stadt mit legendärem Talent zum Phäakentum auf diese wohl höchst entwickelte Idee vom guten Essen einfach verzichtet, deutet wohl auf eine weitere Begabung der Wiener hin: jene zur Selbstgeißelung. Im Zweifel bestraft man sich hierorts mit Gusto - ein Schnitzerl geht immer.

Doch wenn man glaubt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein frankophiles Ehepaar wie Anna und Christoph Heinrich und baut in die Ferstel-Passage bei der Freyung einen so entzückenden Brückenkopf französischer Lebensart, dass es selbst eingefleischten Franko-Skeptizisten schwerfallen wird, nicht alles köstlich zu finden, was da an Wunderdingen dargeboten wird.

Aufpolierte Passage

Anstelle eines staubig lichtfernen Espressos, dessen Existenz sich über die Jahre durch permanent wabernden Gulaschduft einprägte, ist ein helles, verspieltes Lokal entstanden, das den recht angejahrten Glanz der Ferstel-Passage quasi im Alleingang wieder aufpoliert.

Dass es die Croissants und Pains au chocolat nicht ganz mit jenen im nahen Orlando di Castello aufnehmen können, ist ein kleiner Schwachpunkt, der durch die Herrlichkeiten, die einem hier geboten werden, vielfach aufgewogen wird. Fantastische gesalzene Butter aus dem Fass etwa, herrliche Käse, mürb saftige Madeleines, den famosen Senf von Fallot, allerhand große und auch andere interessante Weine und Sprudels, aber auch die handgelegten Sardinen von "La belle îloise".

Eine eigene kleine Dose Thunfischfilets in Olivenöl wird auch à part zur Salade niçoise serviert, einer mit klassischer Vinaigrette angemachten Kombination aus Mesclun, knackigen Fisolen, Paradeisern, wachsweichen Eiern, Oliven und 1A-Sardellenfilets: sehr gut. Aber auch die Salade Landaise mit geräucherter Entenbrust und Hühnerleber macht einiges her.

Gruyère mit echter Liebe

Der Koch Sylvain Moudet ist Franzose und mit echter Liebe bei der Sache. Das schmeckt man etwa am Croque Monsieur mit Schinken, wunderbar cremiger Béchamel und ordentlich würzigem Gruyère - endlich wird dieser König des Schinkenkäsetoasts auch hierorts entsprechend zelebriert. Steak Tartare wird mit der Hand vom Filet geschnitten und gerät kernig, würzig, maskulin - keine Rede vom durchfaschierten Paprika-Fleischaufstrich, der einem sonst gern als solches angedreht wird.

Die Terrine Maison ist ein Musterbeispiel französischer Landküche, unendlich würzig, sehr handfest, dank eines zartsüßen Zwiebelconfit aber souverän tischfein gemacht. Nicht anders als wunderbar auch die Hauptspeisen, ein tiefaromatischer, mit viel Fenchel angereicherter Pott Bouillabaise samt köstlich knofeliger Rouille, oder eine nicht minder reichhaltige Portion zarter Bouchot-Muscheln, die, wie sich's gehört, gerade so lange am Feuer waren, dass sich die Schalen öffnen. Auch der Coq au vin ist mit Liebe und Talent gemacht, er wird wie fast alle Hauptspeisen in den wohlgeformten Riess-Emailles von Dottings Design zu Tisch gebracht. Zur Nachspeise gibt es Crêpes Suzette, das treibt einem dann ebenso Tränen der Rührung in die Augen, wie der Café Express, der in ganz und gar unsrigen Lilienporzellan-Schälchen serviert wird: Wir lieben Frankreich, nur hat es uns noch keiner gesagt! (Severin Corti/Der Standard/rondo/30/09/2011)