Foto: Georg Desrues
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Ein Lokal, wie aus einer Zeittasche der Vergangenheit ins L.A. von heute gespült: Inmitten der Tristesse des Hollywood Boulevard hat Musso & Frank das Flair der großen Jahre des Hollywood-Films konserviert.

Foto: Georg Desrues

In einem Restaurant in Los Angeles beschwert sich ein Gast beim Kellner über den lausigen Service. Der Kellner, freundlich, wie die Menschen in Kalifornien so sind, lächelt den Gast liebevoll an: "Eigentlich bin ich Schauspieler, müssen Sie wissen, nicht Kellner." Worauf der Gast erbost entgegnet: "Na dann spielen Sie doch einfach einen fähigen Kellner!"
Diesen alten Witz erzählt man sich gerne in der Stadt, die für ihre inkompetenten "waiters" genauso bekannt ist wie für die vielen arbeitslosen Schauspieler. Wofür Los Angeles auch berühmt ist, ist die komplett von Traditionen befreite Einstellung zur Küche und deren ständige Erneuerung durch wagemutige Fusion-Elemente.

Das Restaurant Musso & Frank Grill bildet da in jeder Beziehung eine absolute Ausnahme. Wie ein belagertes Fort der US-Kavallerie liegt es inmitten von Sex-Shops, Souvenir- und Elektronikläden am heruntergekommen Hollywood Boulevard und trotzt den Angriffswellen der Ernährungs- und Küchentrends, die in der jungen Stadt am Pazifik üblicherweise noch heftiger rollen als anderswo.
Die Kellner arbeiten fallweise schon seit vierzig Jahren in diesem ältesten Lokal Hollywoods und gehören, sofern sie sich nicht verplaudern, zu den kompetentesten der Stadt. Sie tragen Fliegen und je nach Dienstgrad verschiedenfarbige Jacketts, erzählen von Stars und Stammgästen vergangener Zeiten und zeigen gerne, wo deren Lieblingstische stehen.

"Chaplins Lieblingsgericht"

Eröffnet wurde Musso & Frank 1919, als in Hollywood die ersten Studios entstanden und Stummfilmstars zu Weltruhm gelangten. Exakt in jener Zeit also, der im diesjährigen Oscar-Favoriten The Artist Tribut gezollt wird. Vor dem Lokal, so die Legende, lieferten sich einst Charlie Chaplin und Douglas Fairbanks ein Pferderennen. Der Verlierer musste die Rechnung im Musso & Frank übernehmen. Chaplin gewann, er bestellte Lammnieren vom Grill mit Speck, die heute noch als "Chaplins Lieblingsgericht" auf der voluminösen Karte des Restaurants prangen. 

Überhaupt wirken das Speisenangebot, die Einrichtung, die Kellner und die schummrige Beleuchtung wie ein Relikt aus Hollywoods goldenem Zeitalter. Natürlich hatte Chaplin keine Ahnung, was Sushi, Gourmet-Pizza oder "Corean Taco" sind. Und hätte er sie gekannt - bestellt hätte er diese Gerichte wohl kaum. Was aber galt damals als schickes Essen in Hollywood? Die imposante Sammlung kulinarischer Fossilien auf der Karte des Musso & Frank gibt darüber Aufschluss.

"Hors D'OEuvres"

Schon unter den Vorspeisen - hier nicht "starters", sondern "Hors D'OEuvres" genannt - findet sich längst Ausgestorbenes wie etwa Shrimp- oder Hummercocktail, "gelierte" Consommé oder auch Champignons in Rotweinsauce auf Toast. Neben US-Dauerbrennern wie Sirloin- und Ribeyesteak, Prime Ribs und Lammkoteletts gibt es Chicken à la King - geschnetzeltes Hendl in Champignon-Oberssauce -, oder Shrimp Louie - Shrimps in Ketchup-Mayonnaise-Sauce. Und immer dienstags einen "Sauerbraten" unter genau dieser deutschen Bezeichnung. 

In der Sparte "Italian Entrees" werden italoamerikanische Klassiker aus der Zeit Rudolph Valentinos geboten: die mehr als üppigen "Macaroni au Gratin" etwa, oder "Spaghetti and Meatballs", und die in einer dicken Sauce aus Obers, Butter und Parmesan schwimmenden "Fettucine Alfredo", von denen das Musso & Frank behauptet, sie als erstes Lokal Amerikas zubereitet zu haben, nachdem Douglas Fairbanks und seine Frau Mary Pickford das Rezept von der Hochzeitsreise aus Rom mitbrachten.

Pflege der euroamerikanischen Gerichte

Aber nicht nur berühmte Schauspieler prägten das Musso & Frank, auch einige der größten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts verkehrten hier, schrieben an Drehbüchern und quälten ihre Lebern mit den bis heute von Barchef Manny Felix exzellent gemixten Martinis. Unter den literarischen Gästen der Vergangenheit finden sich Namen wie F. Scott Fitzgerald, William Faulkner und Raymond Chandler, die auf den lederbezogenen Kojen und im gedämpften Licht der Appliken einige der legendärsten Drehbücher der Filmgeschichte verfassten, darunter etwa Chandlers The Big Sleep mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle. 

Obwohl die Gründer des Musso & Frank beide aus Italien stammten und das Lokal bis heute im Besitz derselben, ebenfalls italienischen Familie ist, die es 1927 übernommen hat, standen in der Küche durchwegs Franzosen - das gehörte sich damals so. Seit dem mythischen Jean Rue, der hier 53 Jahre werkte, mühten sich bisher lediglich zwei Köche mit der Pflege der altmodischen, euroamerikanischen Gerichte und der unerschrocken fetten Saucen wie béarnaise, hollandaise, bordelaise oder poulette (eine Champignon-Oberssauce, die hier über Shrimps gegossen wird). Und dafür muss man ihnen danken. Denn ins Musso & Frank geht man nicht, um neumodisches Zeug zu essen - sondern um einen Blick in die Geschichte Hollywoods zu werfen. (Der Standard/rondo/24/02/2012)