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Foto: APA/Harald Schneider
Warum der Volkstheater-Inszenierung des Brecht-Klassikers insbesondere bei Politikern und Journalisten durchschlagender Erfolg zu wünschen ist – wenn schon nicht aus inszenatorischen, so doch zumindest aus volksbildnerischen Gründen.


Wie auch immer die Kritik die Leistung von Maria Bill, Michael Schottenberg und dem Ensemble des Volkstheaters beurteilen mag – man kann zumindest hoffen, dass die Aufführung von Bert Brechts "Mutter Courage" in einem Detail Auswirkungen auf das hat, was sich hierzulande "politischer Diskurs" nennt. Das klingt paradox und will begründet werden.

Brecht hatte seinen Stoff aus mehreren Quellen. Die wichtigste stammt von Christoffel von Grimmelshausen, der als Paralleltext zu seinem "Simplicius Simplicissimus" in einem Prosatext, "Die Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courage" betitelt, die Geschichte einer jener skrupellosen Frauen erzählte, welche die nach den Standards des heutigen Völkerrechts kriminellen Heeresmassen des Dreißigjährigen Krieges begleiteten – Mitschuldige an einer Katastrophe, an der Europa noch lange Zeit leiden sollte.

Der Stückeschreiber Brecht hat sich nicht an die reale Geschichte dieser Frauen gehalten und seine Händlerin Anna Fierling ein wenig anders konzipiert: An die mögliche Vergangenheit als Prostituierte erinnern nur mehr die drei Kinder von verschiedenen Vä 2. Spalte tern. Die Courage wird uns schon im Titel als Mutter vorgestellt, und darin steckt eine gehörige Portion Brechtschen Hohns: An den Verwicklungen, die zum Tod ihrer Kinder führen, ist die ostentativ gute Mutter so unbeteiligt nicht, und wenn es darum geht, eine Silberschnalle zu einem guten Preis zu verkaufen, dann lässt sie sich leicht ablenken – mit schlimmen Folgen für ihren Sohn.

Von Knoll bis Pasterk

Überhaupt ist die Figur eigenartig widersprüchlich: Ihre Lebensmaxime, dass man "nix machen kann", hindert sie nicht daran, sich recht agil – "couragiert" – als Geschäftsfrau im Krieg durchzuschlagen. Doch gerade darin liegt ihr großer Irrtum: Sie überschätzt die eigene Schlauheit, glaubt tatsächlich, dass auch ihresgleichen mit einem schmutzigen Krieg ein Geschäft machen könne, und ignoriert ihre Niederlagen mit einer bemerkenswerten Unbelehrbarkeit.

Seit den ersten Aufführungen mit Therese Giese und Helene Weigel ist das eine "große Rolle", man kann über den trickreichen Opportunismus der Courage lachen, ihre Energie für die falsche Sache bewundern oder sie schlicht bemitleiden – Brecht steht nicht auf der Seite seiner Figur, und "sympathisch" ist sie wohl nur in dem aus ihrer Unbelehrbarkeit resultierenden Elend.

Doch was hat dieses mittlerweile kanonisierte Theaterstück mit der österreichischen Politik zu tun? Einiges, denn als Alfred Gusenbauer Gertraud Knoll als Quereinsteigerin der evangelischen Kirche und der Grünen in ähnlicher Weise abwarb, wie der Werber den Sohn der Fierling, Schweizerkas genannt, für die schwedische Armee, da stellte er sie der Öffentlichkeit als "unsere Mutter Courage" vor.

Die Bezeichnung hat sich durchgesetzt, und in den Wochen des Pensionsvolksbegehrens verging kein Donnerstag, in dem news dieses als Kompliment für das "Aushängeschild Knoll" gemeinte Etikett nicht wiederholte.

Das ist seltsam und lässt sich nur teilweise mit einem allgemeinen Bildungsniedergang erklären, denn zumindest Gusenbauer hat das Image eines Lesenden, zumal wenn es um Bert Brecht geht. Von einer evangelischen Superintendentin zur Leiterin der Zukunftswerkstatt der SPÖ – das ist ein ziemlicher Abstieg, und die Frage ist wohl erlaubt, ob die Bezeichnung Knolls als "Mutter Courage" ihn nicht schon antizipiert. Vor allem angesichts des Umstandes, dass Knoll kein Einzelfall ist. Eine andere dieser sich plötzlich verflüchtigenden Frauen in der österreichischen Politik ist Ursula Pasterk, von der man heute buchstäblich nichts hört, während ihr Nachfolger sich im männerbündischen Versorgungsnetz der österreichischen Politik recht gewandt bewegt. Und siehe da: Auch Ursula Pasterk ist uns als die "Mutter Courage des Wiener Kulturlebens" vorgeführt worden, nicht nur in news, sondern auch in einer an sich schätzenswerten Wochenzeitschrift (die sie allerdings nach ihrem Sturz in einer Headline als "Ursula Vereinsmeierin" verunglimpfte).

Die Anna Fierling ist eine "Looserin", und das Frauenetikett "Mutter Courage" daher keineswegs so unschuldig, wie es seine Popularität im heimischen Politdiskurs nahe legt. Bisher galt ja vielleicht noch die Ausrede des "Nicht- Wissens", doch das ist spätestens ab der Volkstheater-Premiere nicht mehr möglich: Jetzt ist es auf dem Tisch, was es wirklich heißt, eine Frau als "Mutter Courage" zu titulieren. Im Sinne kollektiver Sprachhygiene und volksbildnerischer Verantwortung muss man der Aufführung also einen großen Erfolg wünschen – den man vielleicht durch Freikarten für Alfred Gusenbauer und einige Journalist/inn/en fördern könnte. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.4.2004)