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Stefan Herheim: "Die Handlung einer Oper kennt jeder, das ist das Äußerliche. Aber die Handlung ist nie der Inhalt. Ich versuche aus der Dynamik der Partitur heraus den Inhalt zu theatralisieren."

Foto: APA/ Schlager

Am Samstag, 24.4., hat Puccinis "Madama Butterfly" Premiere an der Wiener Volksoper: Der norwegische Regisseur Stefan Herheim, in Salzburg mit einer aufregenden Version von Mozarts "Entführung aus dem Serail" aufgefallen, will auch in Wien eine Oper von Rezeptionsklischees befreien.

Wien – Zweifellos könnte er behaupten, er lebe in der für ihn besten aller möglichen Welten. Nach Lehrjahren – er betrieb auch ein Opernpuppentheater – landet Stefan Herheim bei der Münchner Biennale. Und weil der dortige Chef, Peter Ruzicka, auch in Salzburg einen Job findet und dem damals 30-Jährigen einiges zutraut, landet dieser an der Salzach und darf bei Mozarts Entführung zulangen.

Und Herheim nimmt den Spruch von der Oper als offenes Kunstwerk ernst. Er baut zwar mehr gute Ideen ein, als eine einzelne Oper verträgt. Aber dass Interessantes passiert, wird deutlich. Das Publikum tobt. Vorstellungen müssen unterbrochen werden. Sänger fordern das Publikum auf zu gehen, wunderbar! Jener, der vor einem sitzt, wirkt freilich nicht wie ein smarter Spekulant, der sich durch Provokationsfetischismus die Karriereleiter emporblufft und nun, da sein Name etabliert ist, in glückseliger Selbstgewissheit ruht. "Ich habe mich weit aus dem Fenster gelehnt und in einem unausgeloteten Bereich experimentiert. Die Arbeit war sehr produktiv, ich habe noch nie so viel gelacht während der Proben."

Umso größer sei der Schock gewesen, "als das zum Teil heftig abgelehnt wurde. Man darf offenbar im sprachlichen Bereich keine Bildung voraussetzen. Die Leute nahmen ihr Missverständnis als Anlass für Kritik, und sie merkten nicht, dass sie gegen das Stück redeten. Komischerweise hat niemand die Aufführung verlassen", so Herheim. Und ein wenig stolz: "Bei mir hat eigentlich noch niemand eine Vorstellung verlassen."

Die Mixtur aus Müdigkeit und Spannung, die Herheim durchaus auch ausstrahlt, erzählt weniger von den Salzburger Qualen, vielmehr von aktuellen Probenmühen. "Da arbeitet man wochenlang und hat den Klang des Klaviers zur Verfügung, und dann kommt das Orchester, und vieles ist ganz anders. Das Timing stimmt nicht mehr, man muss ändern, das ist anstrengende Arbeit. Ansonsten läuft es gut, alle sind nervös", sagt Herheim, will aber nicht behaupten, dass die Opernmühsal erst bei den Proben beginnt.

"Man hat ja immer ein Bild vom Stück, das mehr mit der Rezeptionsgeschichte zu tun hat als mit dem Stück selbst. Ich versuche, mich davon freizumachen, in die Partitur eintauchen, zu sehen, wo der Inhalt ist. Die Handlung kennt ja jeder, das ist das Äußerliche. Aber die Handlung ist ja nie der Inhalt. Ich versuche aus der Dynamik der Partitur heraus zu theatralisieren."

Ob man Zugang zum Stück findet, das "klärt sich schnell. Wenn einen die Musik packt, dann hat man immer was zu erzählen. Ich fühle mich natürlich jedes Mal wie ein Idiot, wenn ich vor den Noten sitze, auch wenn ich das alles seit dem 5. Lebensjahr rauf- und runtersingen kann. Aber man muss sich in den Noten verlieren, um sich in dem, was man macht, wieder neu zu finden."

Ob sich der 34-jährige Norweger in Madama Butterfly gefunden hat, wird man am Samstag sehen. Gefunden hat er eine Personengruppe, deren Teil auch Herr Puccini ist. Sie durchwandert eine Ausstellung, in der die Geschichte von Cio-Cio-San zu sehen sein wird. Es geht also um den westlichen Blick auf den Osten – und da geht Herheim zurück zur Uraufführungsversion der Oper:

"Es gibt sie nicht, die Urfassung; auch die späte Fassung gibt es nicht. Wenn man so will, existieren sieben Fassungen – keine von Puccini wirklich autorisiert. Die Oper fiel ja zuerst kräftig durch. Und der Neurotiker Puccini hat gelitten und wollte mit Kompromissen doch noch einen Erfolg schaffen. Da ist das veristische Element verloren gegangen."

Die Hauptfigur habe sich dann, so Herheim, "langsam zu einer Monsterheroine entwickelt. Allerdings muss man auch sehen, dass Puccini im Laufe der Änderungsphase eine kompositorische Entwicklung durchgemacht hat, die in der späteren Version durchschlägt. Wir nehmen darauf Rücksicht." Ob Volksopernchef Rudolf Berger das Zwischenergebnis schon gesehen hat, kann Herheim nicht beantworten. "Er hat sich gar nicht eingemischt, ich hab' ihn bei keiner Probe gesehen. Gut oder schlecht? Das muss er wissen, er muss hinter der Produktion stehen."

"Man wird ja nie fertig"

So wie Peter Ruzicka. "Er ist voll hinter der Produktion gestanden. Ich finde es unfair, wenn man behauptet, er hätte sich distanziert, nur weil er meinte, man würde an der Ent- führung weiterarbeiten. Man wird ja nie fertig mit einer Produktion, und ich gehe nach Salzburg, um daran zu feilen."

Feilen will er auch an seiner Besessenheit. "Manchmal frage ich mich schon, warum ich immer da vorne stehen will. Ich habe in einem Jahr viereinhalb Inszenierungen gemacht. Nie wieder! Opernhäuser waren zwar immer meine Tempel. Aber man muss ins reale Leben zurückkehren können, um Ideen zu sammeln und um nicht auszubrennen. Ich glaube, ich schaffe das."
(DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2004)