Monsieur Victor-Emmanuel Chandebise, schwarze Hornbrille, grauer Dreiteiler, eine Tube Pomade im linealscharf gescheitelten Haupthaar, orthopädische Monsterhosenträger, die seine Unaussprechlichen derart stringent nach oben ziehen, dass es ihn just dort zwickt, wo es dem Manne besonders lästig ist: dieser Chandebise hat ein Problem, das ihn als Ehemann entlastet, als Mann entwertet, das aber jeden französischen Schwank aus dem Stand - um den es eben geht - das Laufen lehrt.

Denn die betroffene Madame Chandebise wittert als Grund für die erschlaffte Manneskraft natürlich außereheliche Aktivitäten des Gemahls, obwohl ihre lebenskluge Klosterschulfreundin weiß, dass ein Strom versiegen kann, ohne sein Bett zu wechseln.

Ein fingierter Liebesbrief ("genial ist es nicht, wird aber auf der Bühne oft benutzt"), mit Parfum wie mit Weihwasser besprengt, als könnte ein betäubendes "Gott befohlen" die krummen Bürgerdinge wieder gerade biegen, soll den angeblichen Roué am Locus Delicti in die sorgfältig gestellte Falle locken. Man verabredet sich zum Rache-Rendezvous im Stundenhotel "Zum galanten Kätzchen", treffen wird man sich, wo jeder jeden vermutet, und wo jeder sich dramaturgietechnisch zum akkurat richtigen Zeitpunkt einstellt: in flagranti.

Brummender Kreisel

Martin Kusej, der sonst gern Stücke vom hohen Ross herab so lange belagert - "Sinn, komm raus, du bist umzingelt" -, bis sie widerstandslos kapitulieren und mehr dem Regisseur als dem Dramatiker ähneln, zieht am Hamburger Thalia Theater die wie mit Schweizer Uhrmacherhänden allerfeinst justierte Schwankmechanik von Georges Feydeaus Floh im Ohr bis zum Anschlag auf, stellt sie im 70er-Jahre-Dekor von Katja Haß ab und lässt sie wie einen Brummkreisel irre witzig um sich selber drehen, bis sie schließlich torkelnd und scheppernd zur Seite kippt.

Einmal angeschoben, rennt der Bürger von alleine in die Katastrophe. Ergibt sich die Gelegenheit, die lustvoll albgeträumten Eskapaden daraufhin abzuschmecken, ob sie scharf genug sind, um sich daran den Mund zu verbrennen, lässt er sich nicht zweimal bitten. Gebrechen wie Camilles Sprachfehler, der ihn gegen jede Etikette die gnädige Frau mit "hä-hi-he-hau" anzureden zwingt, und den Peter Jordan mit virtuosem Charme gaumt und gurgelt, steigern allemal den Genuss. Denn die Angst, lächerlich zu erscheinen, ist eine der härtesten Drogen, und nur in den höchsten Dosen genossen, verschafft sie dem Bürger jenes federleichte Glücksgefühl, das er benötigt, um außer Rand und Band zu geraten.

Griff zur Flasche

Martin Kusej, designierter Schauspielchef der Salzburger Festspiele, verabreicht das Suchtmittel wie ein erfahrener Arzt, der den Rausch ganz allmählich zur Begleitmusik eines gewaltigen Gewitter-Crescendos steigert, ehe er die Euphorisierten patschnass auf den Hosenboden setzt und - April! April! - mit der Entdeckung ausnüchtert, dass alle stets hinter dem oder der Falschen her waren und alles nur passiert ist, damit alles bleibt, wie es ist. Was bleibt da, zumal in einem bürgerlichen Wohnzimmer mit gut sortierter Hausbar, anderes als der Griff zur Flasche?

Wenn Norman Hacker in der Doppelrolle des Chandebise und des versoffenen Hoteldieners Poche zutiefst identitätsverunsichert mit sich selbst als einem anderem konfrontiert ist, weil er dauernd Küsse und Schläge kassiert, die nicht ihm, sondern ihm gelten, legt er den gefährlichen, aber doch auch schützenden Spalt frei, der Innen von Außen, Schein von Sein trennt. Zwischen Fassade und Privatem hausen nicht nur die Gespenster, die dem Bürger jene Angst einjagen, die er zum Leben braucht, dazwischen ist immer auch eine Handbreit Luft als Puffer gegen den Wirbel der Veränderungen.

In diesem Spalt ist auch noch Platz für die ewige Bürgerfantasie vom aristokratischen Libertin, den Burg-Heimkehrer Werner Wölbern folgerichtig als spanisch radebrechendes, folkloristisches Abziehbild gibt, das jeden Haushalt schmückt, der auf sich hält. Ohne diesen satten Schuss Kitsch würde dem Bourgeois doch etwas fehlen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26. 4. 2004)