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Foto: APA/Pfarrhofer
Wien - Zum Abschied bekommt man manchmal etwas geschenkt. Allerdings kann man damit nicht rechnen. Sicher nicht bezüglich seines Abschieds aus dem Aufsichtsrat der Theaterservicegesellschaft "Art for Art", mit dem Hans Landesmann auf Vorgängen, die die Kür eines Nachfolgers von Josef Kirchberger betreffen, reagierte. "Ich wäre nicht zurückgetreten, wenn ich mich nicht täglich rasieren müsste. Ich musste es tun, denn ich hätte sonst nicht mehr in den Spiegel schauen können. "

Aber am Ende seiner Amtszeit als Musikchef der Festwochen wollte er erst gar keine Unsicherheit aufkommen lassen und beschloss, sich selbst zu beschenken. Mit bemerkenswerter Unbescheidenheit genehmigte er sich nicht nur ein solches Abschiedsgeschenk, sondern gleich deren mehrere. Und damit auch andere sich an ihnen erfreuen können, hat er sie zum allein schon in seiner Leseform durchaus ansehnlichen diesjährigen Musikprogramm der Festwochen gefädelt.

Was Landesmann unter dem Motto "Protagonisten des Mythos Moderne" als Programm vorbereitet hat, könnte man als Exkurs durch die Verhaltensreflexe bezeichnen, mit denen das, was man gemeinhin als die musikalische Moderne bezeichnet, sich einst so wie heute selbst konstituierte und sich gegen gegensätzliche stilistische Nachbarschaften abgrenzte.

Als zentrale Ausgangsposition könnte man unter diesem Aspekt Claude Debussys Oper Pelléas et Mélisande (ab 27. Mai) bezeichnen. Scheinen doch die Verbindlichkeiten der traditionellen Musiktheorie im Impressionismus (ebenso wie in der chromatisch immer weitläufiger verästelten Hochromantik) auf raffinierte Weise aufgehoben: Denn trotz der Aushebelung des Regelkanons behalten die vagen Postulate nach Schönklang noch ihre Gültigkeit.

Man könnte diese musikästhetische Situation als "anything goes", aber gleichzeitig auch als dessen Gegenteil "nothing goes" bezeichnen. Das Musikprogramm zeigt nun diverse Modelle zu deren Bewältigung. Deren ersten Welle markiert die so genannte "Freie Tonalität" als stilistischer Trapezakt, der auch auf das ästhetische Sicherheitsnetz der aufgelösten Dissonanz verzichtet.

Dieser Unerträglichkeit der Freiheit von allen Bindungen begegneten die Komponisten des Schönberg-Kreises zunächst mit dem Rückgriff zu alten Formen wie Passacaglia, Fuge und Spiegelkanon, wie sie Schönberg in seinem Melodram Pierrot Lunaire op. 21 wieder verwendet, bevor er zur Zwölftontechnik findet. In einer Produktion des Festivals von Aix-en-Provence wird Pierrot Lunaire gemeinsam mit Manuel de Fallas puppentheatralischer Groteske El Retablo de Maese Pedro und Igor Strawinskys Reineke-Fuchs-Oper Renard zu hören sein (ab 13. Mai.) Viele Phasen dieser kompositionstechnischen Reflexe auf die stilistische Freiheit werden am ersten Juni-wochenende (5./6.) im Verlauf eines Anton-von-Webern-Festes zu hören sein.

Dabei gelangt von Weberns Gesamtwerk von seinen der Spätromantik verpflichteten Anfängen über die Phase der Freien Tonalität bis zur Verknappung in dodekaphonischen Strukturen zur Aufführung. Für die Zeit nach der Dodekaphonie stehen Pierre Boulez und Friedrich Cerha. Ersterer am heutigen Eröffnungsabend und dann im Museumsquartier (8./9. Mai) mit Anthèmes 2, in dem sich der Klang des Soloinstrumentes zu orchestralen Effekten vervielfältigt, und Répons. Beide Stücke sind von der unter dem Schlagwort "seriell" firmierenden Technik geprägt.

Friedrich Cerha wiederum kommt mit seiner Oper Der Rattenfänger zu Wort (10., 11. Juni). Seit der Uraufführung (1987) nicht mehr gespielt, gelang in Darmstadt unlängst die weithin akklamierte Rehabilitierung des Werkes. Als Vertreter der Enkelgeneration der "Mythos-Protagonisten" firmiert hier Johannes Maria Staud und dessen bizarre musiktheatralische Inzeststory Berenice (ab 22. Mai). (Peter Vujica/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 5. 2004)