Zu Mortiers Zeit ein Symbol für die Erstarrung des Festivals, nun wieder en vogue - Herbert von Karajan.

Foto: Deutsche Grammophon/S. Lauterwasser
In Ermangelung einer solchen Person scheinen pragmatische oder mutige Personallösungen sinnvoller.


Wien - "Während in Europa die guten Seelen wohlmeinende Schilder mit der Aufschrift ,Frieden' schwenken, beendet die lynchende Menge in Falludscha ihr Fest mit Hackenschlägen auf die brennenden Leichen. Die Europäer treten ein paar Züge verspätet in den Krieg gegen den Terrorismus ein. Die Spanier hoffen, sich ihre Ruhe erkaufen zu können, indem sie ihre Soldaten aus dem Irak abziehen. Die Franzosen pflegen ihre Freundschaft mit arabischen Despoten. Kommissionspräsident Prodi setzt auf Kredite, Hilfszahlungen und Subventionen, um der Plage Herr zu werden. In der stillen Hoffnung, als Milchkuh werde Europa nicht länger Zielscheibe sein . . ."

Die erstaunte Frage, was ein solcher Text mit den Salzburger Festspielen zu tun habe, ist mit allem gebotenen Respekt an deren honoriges Direktorium zu richten. Stammt er doch von André Glucks-mann, nach dem sich dem Vernehmen nach vor allem die Präsidentin des Festivals von ganzem Herzen als Eröffnungsredner sehnte. Diese Zeilen und noch mehrere solcher hat der Philosoph aus Paris in einem Gastkommentar in das honorige Feuilleton der FAZ vom 7. April geschwitzt. Und am vergangenen Sonntag ließ er sich in der nicht minder honorigen Welt mit einer Österreichschelte vernehmen, die alle politisch korrekten Herzen höher schlagen lässt.

Nennt er dieses Land doch ein "mitteleuropäisches Hawaii" - ohne Einsicht seiner Mitschuld an den Verbrechen des Dritten Reiches, voll der Feindschaft gegen Fremde, voll der Ressentiments gegen die Freiheit der Kunst, argwöhnisch gegenüber der EU, kurz: "Diese Österreicher sind die Vorboten einer neuen Amnesie."

Es darf vorausgesetzt werden, dass dem streitbaren Kriegsfreund und Österreichfeind in Salzburg nicht viel anderes eingefallen wäre. So gibt wilde Frische, mit der sich die neu gekürte und ins Festspielkuratorium platzende Salzburger Landeshauptfrau sich ihrer Verpflichtung besann, den (an sich überflüssigen) Eröffnungsredner selbst zu bestimmen, Anlass zur Hoffnung, sie hätte vielleicht insgesamt das Zeug dazu, die gravitätische Fadesse, mit der dieses Gremium traditionsgemäß agiert, nachhaltig aufzulockern.

Gibt doch allein der Wunsch, ein Festival, das seine Gründer nach dem Ersten Weltkrieg als Bastion der Versöhnung durch Kunst im Herzen Europas angedacht hatten, von André Glucksmann anwerfen zu lassen, immerhin Aufschluss über die mentale und weltanschauliche Befindlichkeit seiner gegenwärtigen Macher. Und es markiert wohl auch das geistige Ambiente, in welchem und für welches man nun nach einem geeigneten Nachfolger für Peter Ruzicka sucht.

Das Auffälligste an dieser Suche nach einem Salzburger Festspielintendanten für die Zeit nach 2006 und vielleicht das am meisten verräterische Merkmal für den Geist, in dem diese erfolgt, ist, dass ein Name, der in den letzten zwölf Jahren in Salzburgs maßgeblichen Festspielkreisen als Synonym für den Gottseibeiuns galt, neuerdings immer häufiger genannt wird: Man darf in Salzburg ohne Furcht vor öffentlicher Ächtung wieder Karajan sagen.

Und wer Karajan sagt, hat natürlich, ohne es detailliert aussprechen zu müssen, alles gesagt. Ist damit zwar höchste musikalische Perfektion gemeint, aber auch mitunter peinlicher szenischer Glamour von sponsorenfreundlicher Unverbindlichkeit und vor allem die anhaltende Präsenz der Umsätze fördernden zahlungskräftigen Society, vor der man willfährig buckelt.

Immerhin ermutigend, dass sich innerhalb des Kuratoriums die Meinung verfestigt hat, dass sich ein zweiter Karajan, also ein Dirigent von Weltrang, der gleichzeitig in höfischem und Politikern gegenüber oft genug sehr unhöflichem Absolutismus über ein unbesiegbares Finanz-und PR-Imperium herrscht, nicht finden lässt.

So steht man vor der Entscheidung, welche Hälfte von Karajan man möchte: Den Künstler oder den ökonomisch und ästhetisch bewussten Programmstrategen. Da darüber Einvernehmen herrscht, dass der vom Bund(eskanzler) favorisierte Franz Welser-Möst letztlich doch (noch?) kein Karajan ist, neigt man gegenwärtig eher dazu, nach einem geschickt managenden Schreibtisch-Karajan zu fahnden. Und schon landet man bei der hinlänglich bekannten Liste mit den Namen diverser Opern-, Konzert-oder sonstiger Direktoren. Da aber Salzburg ein Allspartenfestival ist, würde ein Konzertmanager mit Schauspiel und auch Oper, ein Opernchef mit dem Konzert- und Schauspielprogramm und ein Schauspielmacher mit der Musik seine liebe Not haben.

Mit einer Ausnahme: Ähnlich wie der Sküs im Tarockspiel oder der Joker im Rummy tanzt der ebenfalls zu Gebote stehende amtierende Direktor des Burgtheaters durch alle Disziplinen. Er hat den Wiener Festwochen Profil gegeben, er hat der Volksoper als deren Direktor markante Impulse verliehen. Und weil sich auch die linke Creme des deutschsprachigen Feuilletons mit der für sie ja kaum hinnehmbaren Tatsache abgefunden hat, dass auf Claus Peymann ein Österreicher als Burgchef folgte, wird sein Programmcocktail aus Schlingensief, Breth und Zadek nun ja allgemein goutiert.

Fiele die Wahl auf ihn, bliebe Bachler die Fortune auch in anderer Hinsicht treu: Denn ähnlich, wie er von der Volksoper in die Burg vor Ablauf seiner Amtsperiode wechselte, ergäbe sich seine Übersiedlung nach Salzburg ebenfalls vorzeitig. Worüber Bachler vielleicht nicht einmal so besonders böse wäre. Denn so wie Bachler den Kummer über die schon während seiner Volksoperndirektion schrumpfenden Besucherzahlen seinem Nachfolger Dominique Mentha überließ, so könnte er nun die von Insidern als ernst bezeichnete Tristesse der Burgfinanzen an der Salzach vergessen.

Pragmatik oder Mut

Trotzdem wäre Klaus Bachler eine pragmatische Lösung. Es sei denn, die Dame Landeshauptfrau bringt, was wohl ziemlich unwahrscheinlich scheint, so viel Leben und Mut in das Kuratorium, dass dieses einen der originellsten Programmmacher zu sich ruft, den Österreich zurzeit hat, auch wenn er sicher nicht in der Liste der Bewerber aufscheint. Gemeint ist Markus Hinterhäuser, dessen zeitfluss in der Ära Mortier die Festspielprogramme aufputzte und der nun mit zeitzonen die Festwochen belebt.

Er stünde für den Einzug der Gegenwart nach Salzburg. Zweifellos wäre seine Kür ein Risiko. Doch Kunst ohne Risiko ist keine. Und Programme ohne ein solches auch nicht. Wie man an den Salzburger Festspielen mit und ohne Glücksmann ersehen kann. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.6.2004)