Wilfried Schley, Mitentwickler der geplanten "Leadership-Akademie" für Direktoren, meint, die Lehrertätigkeit "ist bis heute fast unzugänglich geblieben". Sitzenbleiben sei antiquiert, sagte er zu Lisa Nimmervoll.

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Standard: Was läuft in der Schule von heute falsch?
Schley: Wir haben Schulentwicklung von außen nach innen gemacht und uns vor allem um die Dinge gekümmert, die am Rande der Lehrertätigkeit liegen: Abstimmungs-und Planungsprozesse, Konferenzen, Schulklima, das Miteinander, also die Reflexion der Beteiligten über ihr eigentliches Tun. Wenn wir selbstkritisch sind, ist es aber nicht gelungen, den Kern des Unterrichtsgeschehens wirklich grundlegend zu verändern.

Standard: Also vor lauter Überbau den Inhalt übersehen?
Schley: Die eigentliche Tätigkeit der Lehrer ist bis heute fast unzugänglich geblieben. Wir haben kein Verständnis davon, was hinter verschlossenen Klassentüren passiert.

Standard: Ist die Krise der Schule eine Krise der Lehrer?
Schley: Es ist auch eine Krise der Schule, die sich fragen muss, was ihre Aufgabe ist. Wir haben noch immer den Mythos eines Einer-Modells: ein Lehrer in einer Klasse in einem Fach mit einem Niveau und einem Lernziel. In der Gesellschaft haben wir aber überall Modelle von Vielfalt.

Standard: Muss die Schulreform bei den Lehrern ansetzen?
Schley: Ja, ganz klar. Dazu müssen wir aber erst einmal das gesamte professionelle Beharrungsvermögen der Lehrer aufbrechen. Die zentrale Frage ist, wie wird dieser Beruf wirklich professionell? Fast jeder meint, wenn er selber Schüler war, kann er auch lehren. Aber Unterrichten ist eine hochanspruchsvolle Führungstätigkeit, wo Lernprozesse simultan bei unterschiedlichen Ausgangslagen, Motivationen und Lernstilen stattfinden müssen. Darauf sind Lehrer viel zu wenig vorbereitet.

Standard: Produzieren überfordert Lehrer, wie Sie sagen, unterforderte Schüler?
Schley: Die Unterforderung ist eine schlichte Aktivitätsunterforderung. Die Sprechanteile der Lehrer liegen etwa bei zwei Dritteln, sämtliche Schüler zusammen sprechen ein Drittel. Wenn der Unterrichtsprozess anders organisiert wird, eigenverantwortlich, dann sind alle parallel unter einer Leistungserwartung und können etwas tun. Diese Umstellung geschieht noch nicht.

Standard: Was halten Sie vom Sitzenbleiben?
Schley: Klassenwiederholungen sind kein Mittel der Entwicklungsunterstützung für die Schüler. Sie reproduzieren in der nächsten Klasse nach einer gewissen Zeit wieder eine negative Lernsituation, es gibt Entwurzelungseffekte. Das geht von der Vorstellung einer homogenen Lerngruppe aus, aus der bestimmte Schüler leistungsmäßig herausfallen. Die Grundherausforderung ist aber eigentlich, mit unterschiedlichen Lernständen in einer Altersgruppe entsprechend umzugehen und lernzieldifferenziert zu arbeiten. Wer sagt, dass in einem Unterricht alle im gleichen Stoff das gleiche Ziel erreichen müssen? Das ist eine Setzung. Die können und müssen wir aufheben.

Standard: Die Zukunftskommission schlägt vor, den Schulen Personalhoheit zu geben. Was halten Sie davon? Schley: Ich würde den Kompetenzbereich und die Leitungsverantwortung der Schulleiter deutlich erweitern, auch im Umgang mit Budgets, letzten Endes inklusive Einstellung von Lehrpersonen, nur nicht völlig nach den Prinzipien des freien Markts. Die bisherige Zuweisungspraxis ist überholt und muss dringend verändert werden. (DER STANDARD, Printausgabe 7.6.2004)