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Schwingt sich für ihn in Lüfte, die dem Baumeister unerreichbar bleiben: Hilde Wangel (Dorothee Hartinger) neckt ihr Idol Solness (Gert Voss).

Foto: AP/Stephan Trierenber
Mit der Festwochen-Koproduktion von Ibsens "Baumeister Solness" gelingt es Kirsten Dene und Gert Voss im Wiener Akademietheater, den Zauber ihres Zusammenspiels aufs Neue zu beleben.


Wien - Ibsens Baumeister Solness, dessen Ruhm auf der Erniedrigung seiner Mitmenschen gründet, baut Normhütten für die bürgerliche Einbildungskraft. Er setzt auf stinknormale Fertigteilhäuser, deren serielle Passform eigentlich den Abscheu vor dem Philistertum nähren sollte, zierliche Erker und entzückende Giebel: Schnörkel, die eine Behaglichkeit vorgaukeln, die aus der Schnittmenge der geläufigsten Lebenswünsche entsteht. Für Bedürfnisse, die außer aller Norm liegen, findet sich in den aufwändigen Elendsquartieren kein Platz.

Die Häuser sind im Wiener Akademietheater Hochglanz-dias, die Bühnenbildner Jan Pappelbaum auf einen Schleier wirft. Katalogware für die Mittelstandsverarmten, die ihre eigene Wohlanständigkeit mit stiller, würgender Inbrunst hassen.

Solness (Gert Voss) ist der Baulöwe als Menschenjäger im vanillegelben Eigenheim: einer entzückenden Kreislandschaft in perfekt ausgewogener Raumökonomie, die die Anforderungen des Designer-Büros mit der Statussymbolik des Nobelschuppens verquickt und die Bewohner in tiefe Einsamkeit stürzt.

Und Solness ist in diesem Zwinger der Einsamste: das seelenwundenleckende Raubtier, dem die luxuriöse Haltung einen Schmerbauch unter die Rippen gezaubert hat. Das dennoch tänzelnd und fußklopfend jedes Frischfleisch beäugt, das ihm vor die witternden Nüstern läuft.

Das Diätgesicht

Das seine Fleischgier bezwingt und ein grämliches Diätgesicht aufsetzt, wenn der alte, von ihm ausgebootete Architekten-Nebenbuhler-Freund (Branko Samarovski) ihn angesichts des nahenden Todes um eine Gefälligkeit bittet. Die er verweigert: Diesem eleganten, schönen Tier ist sein eigener Hunger genug.
Und wenn Solness vor den todschicken Einbau-Waben mit der Buchhalterin (Sabine Haupt) flirtet - mehr nebenhin: wie ein Kätzchen mit dem Wollknäuel spielt -, dann erscheint in leidender Erstarrung Ehefrau Aline (Kirsten Dene) und sendet ihre alles durchdringenden, in Tränenwasser getauchten, im Leid erhärteten Wortblitze durch den Ehezwinger.

Dene und Voss, das größte, erschütterndste und dabei umwerfendste Komödiantenpaar des deutschsprachigen Theaters, meldet sich triumphal zurück. Da spielt es keine Rolle mehr, ob Regisseur Thomas Ostermeier nun eher mannschaftsdienlich statt Aufsehen erregend inszeniert hat: Dieser Baumeister Solness ist der Glücksfall einer überwiegend müden, mürben Festwochen-Saison.
Über den rastlosen Räuber in der Ingenieursjacke bricht ein Kätzchen herein: ein ganz aus Luft und Locken gebautes Zauberwesen namens Hilde (Dorothee Hartinger), das mit der Ungezwungenheit der Jugend den Zwinger mit den Schiebeglastüren erstürmt wie einen öden Bunker.

Erweckungsgefühl

Das den alten Löwen zum Schnurren bringt und zum behaglichen Barthaare-Lecken. Irgendwann, vor zehn Jahren, soll Solness anlässlich eines Provinzkirchbaus über das damalige Schulmädchen hereingebrochen sein wie eine himmelstürmende Zwangsgewalt (der Vergewaltigungsvorwurf steht im Raum). Jetzt will sie den früh Vergreisten wieder anstacheln: Baue Luftschlösser für mich, Solness! Und in Voss' Angesicht stiehlt sich der Anflug eines Lächelns, als gelte ihre Munterkeit seiner vermutlich erlahmten Potenz und nicht etwa einem unsichtbaren "Turm".
Zwischen dem Aberwitz der wundersamen Baumeister-Erweckung und seinem selbstmörderischen Sturz vom Turm herab - den Ostermeier übrigens als Solness' Wunsch-Angsttraum inszeniert - sind einige der betörendsten Szenen der letzten Theatersaisonen ausgestellt.

Dene, die mit dem Gartenschlauch die Topfrosen und die Glasfassade abspritzt, als würde sie mit einer Ätznadel hantieren. Voss, der den stummen Vorwurf seiner Gemahlin mit bösen, destruktiven Tanzschritten souverän abwürgt.

Der mit der Skizzenmappe seines jungen Famulanten (Markus Gertken), den er als nachdrängenden Konkurrenten fürchtet und kurz hält, die ihn bedrängenden Spukgesichter wie unsichtbare Fliegen erschlägt. Baumeister Solness ist, auf gut Neudeutsch gesprochen, das Zeugnis einer phallischen Krise. Voss reißt Ibsens mitleidlose Partitur an sich und stürzt sich, schleicht sich, schmiegt sich in sie hinein: ein Selbstdressurakt, der praktisch jeden Superlativ verdient. Das räuberischste Tier ist immer noch das landauf, landab eleganteste.
Und so wird man es dem grandiosen Abend nicht ankreiden, dass nach einem berückenden zweiten Akt die Spannung am Schluss abfällt. Hilde (Hartinger) war auf der Oberkante des Rauchglasportals herumgeturnt - der vorab gealterte Mann zu ihren Füßen war zerschmolzen.

Nun söhnt sich der Wildfang mit Aline Solness, der Schmerzensreichen, aus. Aline (Dene) erzählt, wie ihr Heim einst in Flammen aufging, wie ihre beiden kleinen Buben starben. Dies hinzunehmen sei ihre Pflicht. Aber dass ihre neun Puppen im Feuer zerschmolzen seien, das könne sie niemals verwinden.

Dene weint zu dieser vermeintlichen Lappalie die entsetzlichsten, ergreifendsten Tränen der Welt. Greift ungeschickt nach einer Haarlocke Hartingers. Sie selbst trägt über dem angeklebten Haar eine Prinz-Eisenherz-Perücke. So verpuppen sich Menschen, um eine unleidliche Welt zu bewohnen. Beifall - und Jubel. (DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.6.2004)