Hört und sieht man Zimerman zu, wenn er seinen Wiener Chopin-Abend mit der g-Moll-Mazurka (op. 24, Nr. 1) beginnt, könnte man das, was so beiläufig wie aus ferner, ungenauer Erinnerung daherkommt, für eine unzusammenhängende, locker über die Tasten gestreute Improvisation halten.
Zimerman versucht nicht, Einheitlichkeit und Zusammenhang zu simulieren, wo diese nicht sind. Auf erregend moderne Weise interpretiert er Stück um Stück (noch die drei weiteren Mazurken aus op. 24 und die f-Moll-Ballade op. 52) und Satz um Satz der beiden Sonaten (b- und h-Moll) als eine Ansammlung spontaner und höchst unterschiedlicher Einzelfälle.
Es klingt, als sollte die Chaostheorie anhand von tönenden Selbstordnungen bewiesen werden, die zufällig aus Chopins Notenfeder stammen. Chopins raffinierte Harmoniewechsel wirken wie überraschende Verstörungen, die den Code der Abläufe und das Muster der Ordnungen grundlegend verändern.
Eine so kaleidoskopische Auffächerung der einzelnen Werke bei gleichzeitiger Wahrung ihrer stilistischen Einheitlichkeit kann nur unter zwei Voraussetzungen gelingen: Die eine ist das geradezu vegetative Verwachsen des Interpreten mit dem Werk. (Die b-Moll-Sonate studierte und über sie meditierte Zimerman zehn Jahre lang, bevor er sie erstmals öffentlich spielte.)
Die andere Voraussetzung ist die souveräne technische Bravour. Kein Computer könnte das abschließende Presto der b-Moll-Sonate in so rasendem Tempo und gleichzeitig so unerschütterlich präzise wiedergeben wie Krystof Zimerman, der diesen stürmischen Tiraden auch noch den gehörigen emotionalen Nachdruck verlieh.