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Sophie Rois (als Charlotte Rampling) ist durch die im Neoliberalismus aufgekündigten Sozialverträge auf die Sadomaso-Platte gefallen. Stefanie Dvorak kann da nur mehr zusehen.

Foto: AP/Stefan Trierenberg
Die Burg-Koproduktion "Hallo Hotel...!" von René Pollesch ist ein geradezu aristotelisch amalgamierter Theaterzwitter aus zwei Filmen. Ein üppiger Fall für aufrichtige Fans.


Wien - Wenn seine Figuren losplärren, so ist das alles, bloß keine archaische Gefühlsdramatik. Die Figuren von René Pollesch leben im posttragischen Stadium, in dem schicksalslos Bourdieu-Sätze geliefert werden oder Erkenntnisreiches des italienischen Philosophen Giorgio Agamben über die selbstausbeuterische Vermischung von privat und öffentlich. Der am berühmten Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft ausgebildete Autor und Regisseur hat dem Theater den hysterischen Ausbruch neu rückerobert.

Pollesch etabliert hybride Orte, an denen ebenso hybride Figuren zu jenem Punkt kommen, an dem nichts mehr geht und nur noch der alle böse Erkenntnis hinwegraffende große Schrei steht.

Über 70 Stücke hat der 42-Jährige geschrieben, und er inszeniert sie zugunsten eines integralen Prozesses immer selbst. Viel zu tun also für einen Preisabstauber, der derzeit selbst Chef an der Volksbühnen-Dependance am Prater Berlin ist. Zu den allerjüngsten Premieren zählt neben Pablo in der Plusfiliale derzeit die Koproduktion Hallo Hotel . . .! im Burg-Kasino am Schwarzenbergplatz (mit dem Festival Theaterformen 2004 in Hannover).


Fette Freundinnen

Bisher ging das immer so: Hier ist die Masse von sich im selbstausbeuterischen Kräftefeld zernagenden Individuen, und dort sind die fetten Freundinnen Globalisierung und Neoliberalismus. Pollesch-Stücke holen (ähnlich wie bei Einar Schleef oder Christoph Schlingensief) das Subjekt aus diesem Dilemma nicht heraus, sondern belassen es sichtbar und betreiben im heiteren Sinn Massenkonfliktarbeit.

Ein bisschen aber lockern sich auch bei Pollesch die hauseigenen Dogmen. Und so ist Hallo Hotel. . .! ein aus zwei Filmen geradezu aristotelisch amalgamiertes Produkt mit sogar konkreten Figuren: Hallo - Hotel Sacher . . . Portier! von Fritz Eckhardt sowie Liliana Cavanis sadomasochistische Tragödie Der Nachtportier mit Charlotte Rampling. Eine aus dem theoretischen Fundus angereicherte semipanische Beziehungskomödie in punktuell hoher Auflösung.

Sophie Rois gibt mit kindlich-anarchischer Attitüde und in fantastischen Seidenfetzen den Star Rampling, stakst im Kreis, weil ihre zarten Gelenke an die Sadomaso-Drehscheibe gekettet sind: "Wir werden immer noch so regiert, als wären wir in einem Lager!!", schreit sie. Als SS-Mann Maximilian T. Aldorfer sowie zugleich als Fritz Eckhardt (genau so werden Pollesch-Figuren gemacht!) zieht Caroline Peters (derzeit als Salome an der Burg) durch die mit Stiegenaufgängen, Saunakabinchen und Statuen üppig angelegte Bühnenlandschaft (Ausstattung: Janina Audick).


Im Menschenkäfig

Das Herzstück in diesem partiellen Hotel Sacher ist die auf Stelzen gebaute hölzerne Theatersuite mit einem von der Decke hängenden Menschenkäfig. Und dort oben steht im sonnengelben Kleidchen und mit Korkenzieherlocken die Gräfin Elfriede Ott (Johanna Eiworth) - und kreischt verzweifelt nach ihrem gestohlenen Schmuck (vgl. den Film). Stefanie Dvorak gibt das Stubenmädel.

Die Pollesch-Art kommt mit dieser an der "konventionellen" Machart kratzenden Variante an ihre Grenzen. Aber: Das Stück wirft Fragen auf, mit denen man zweifel- los nicht gerechnet hat ("Ist dieses KZ die Fantasie, von der André Heller immer spricht?"). Und es verliert in seiner jugendlichen Wut und himmlischen Aufmachung (hervorragend gespielte Filmsequenz mit Suspense-Musik) sein Ziel nicht aus den Augen: das immerzu schockierend energetische Aufklopfen von Zwangsmechanismen der elenden Verausgabung. (DER STANDARD, Printausgabe vom 21.6.2004)