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dpa
Martina sitzt im knallvollen Warteraum des Piercing-Studios. Sie hat einen der letzten Sitzplätze ergattert, zum Glück, denn irgendwie schlottern ihr die Knie. Was sie natürlich nie im Leben zugeben würde, vor allem nicht in Gegenwart ihrer Mutter. Die lehnt lässig an der Türe und wartet darauf, dass Tochter Martina endlich auf den Piercing-Stuhl wechselt. Doch zur Feier des 17. Geburtstags ihrer Tochter ist sie schon mal bereit, einige Stunden zu investieren, schließlich hat sie selbst Martina das Piercing geschenkt. "Für meine Eltern ist das kein Problem, die haben das sogar von sich aus vorgeschlagen", prahlt Martina mit dem Verständnis ihrer "Erziehungsberechtigten" hinsichtlich der "hervorstechenden" Verzierung ihres jugendlichen Bauchnabels.

Besorgte Eltern

Davon kann die 16-jährige Tanja nur träumen. Seit sie 14 ist, versucht sie immer wieder, ausgeklügelte Argumentationsketten, tränengefüllte Riesenaugen und Beispiele aus dem Bekanntenkreis in die Waagschale zu werfen, um ein Zungenpiercing durchzusetzen, bisher ohne Erfolg. In ihrer Verzweiflung griff zu kürzlich sogar zu unlauteren Mitteln. Sie fälschte die Unterschrift ihrer Mutter auf dem Formular. Dieses Wagnis scheiterte allerdings an der Umsicht des Piercers, der verlangte, dass ein Erziehungsberechtigter sie begleitete. Blöd gelaufen. Wegen der Sorge ihrer Eltern um ihre körperliche Gesundheit muss Tanja wohl mit dem Zungenpiercing warten, bis sie 18 ist.

Rechtliche Grauzone

Denn bis zum 18. Lebensjahr sind juristisch streng genommen die Eltern dafür verantwortlich, "die körperliche Unversehrtheit" ihrer Kinder zu garantieren. Wie sie auch vor einer Operation für ihre Sprösslinge die "Einverständniserklärung" unterschreiben, muss ein Elternteil vor einem Piercing sein Einverständnis geben. Piercen und Tätowieren werden nämlich vom rechtlichen Standpunkt als operativer Eingriff gewertet.

Bis zum Frühjahr 2004 war das Piercen und Tätowieren von Jugendlichen und Kindern unter 18 prinzipiell verboten, wurde jedoch vom Gesetzgeber geduldet. "Wir arbeiteten sozusagen im juristischen Graubereich", erzählt Piercer und Tätowierer Thomas von seinem juristisch ungeregelten Arbeitsalltag. Die Gefahr, von entrüsteten Eltern geklagt zu werden, war ständig präsent. Trotzdem wollten die Studios nicht auf die relevante Zielgruppe unter 18 verzichten.

Rechtlicher Einordnungsversuch

Die Tatoo-Studios beginnen erst seit kurzem, sich aus dem juristischen Graubereich zu lösen. Erst seit drei Jahren können beispielweise Gewerbescheine gelöst werden, die Piercer und Tätowierer dem Gewerbezweig "Kosmetiker" zuordnen. Der Wildwuchs unausgebildeter Piercer ist seither zurückgegangen, die rechtliche Situation hinsichtlich minderjähriger KundInnen blieb vorerst weiter ungeregelt. Erst 2004 trug der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass viele Jugendliche sich bereits unter die Nadel begaben. Sie erlaubten offiziell das Tätowieren und Piercen Jugendlicher in Österreich mit Einverständnis der Eltern.

Seitdem pierct Thomas mit rechtlicher Rückendeckung und unter den Argusaugen eines Elternteils, ohne den er keinen Eingriff durchführt. Seine KollegInnen in Deutschland arbeiten weiter unter relativ schwammigen gesetzlichen Bedingungen. Vermutlich nicht mehr lange, denn bis 2005 soll es endlich eine einheitliches EU-weite Regelung geben. (mhe)