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Die Wienerin Andrea Eckert erlernte Schauspielerei bei Dorothea Neff. Nach Stationen in Linz und Frankfurt etablierte sie sich als Tragödin am Wiener Volkstheater. Zuletzt bewarb sie sich auch um die Intendanz des Hauses.

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Mit Kleists "Penthesilea" in der Regie von Alexander Kubelka eröffnet das Wiener Volkstheater am Sonntag, 19.30 Uhr, die Herbstsaison. Titelheldin Andrea Eckert beschreibt im Gespräch mit Ronald Pohl die Klippen eines "skandalösen" Stoffes.

STANDARD: Kleists Trauerspiel Penthesilea wird selten gespielt: Gelegentliche Versuche, die Vers-Tragödie zu stemmen, zeitigen häufig unbefriedigende Ergebnisse. Dabei scheint alles enthalten, was den modernen "Geschlechterdiskurs" ausmacht: Die Amazonen, die paarungswillig über die Griechen vor Troja hereinbrechen, sind Frauen, die sich ihre Männer "mit dem Schwert zuführen". Was heißt das? Repräsentieren die Amazonen nicht ein "unmögliches Geschlecht"? Es handelt sich um Frauen, die sich phallisch gebärden müssen, um ihre Zuchtwahl treffen zu können.

Andrea Eckert: Die Vorfahrinnen der Amazonen haben sich ehedem von Vergewaltigern befreit und wollen nie wieder in diesen Zustand hineingeraten. Jetzt haben sie das Problem der Fortpflanzung. Der Mann wird zum "Besamer" umfunktioniert. Für das "Rosenfest" wird der "Vortrefflichste" gesucht. Penthesilea besitzt nun eine sehr romantische Sehnsucht – einen Furor der Hingabe. Doch gleichzeitig ist sie darauf konditioniert, das Gegenüber zu unterwerfen. Das sind Dinge, die einander vollkommen widersprechen: Penthesilea bekommt einfach keine Zeit eingeräumt, ihre Projektionen in Bezug auf Achilles auf deren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Sie hegt ein Vorstellungsbild. Dazu, mit einem realen Menschen zu erfahren, was Nähe bedeutet – dazu kommt es gar nicht. Die Ereignisse überstürzen sich, und schon sind beide tot. Sie sehen: Ich versuche das ganz naiv auf den emotionalen Gehalt hin zu lesen. Penthesilea ist vollkommen überfordert mit dem, was auf sie einstürzt.

STANDARD: Sie ist auf Gewalt konditioniert?

Eckert: Sie greift auf dasjenige zurück, was ihr mit der Muttermilch eingegeben wurde. Verliert den Boden unter den Füßen, weil sie betrogen scheint – und gerät außer sich, indem sie dann Achill eigentlich "auffrisst". In der Epoche von Kleist ein Skandal. Es wäre schön, wenn sich der Zuschauer unserer Vorstellung sagt: Egal, was man sonst noch mitdenkt in Hinblick auf Gesellschaftsmodelle, es ist doch schade – diese zwei Menschen hätten eine große Chance miteinander gehabt! Das Stück ist bloß so sprach-, so bildgewaltig, dass man gar nicht dazu kommt, mit den armen Menschen "mitzufühlen". Alles wird andauernd ausgesprochen. Es bleibt kein Raum für die Vorstellungskraft.

STANDARD: Kleist überlässt sich dem Strom seiner Jamben – er wird fortgerissen von der eigenen Sprachmächtigkeit.

Eckert: Darum darf man sich als Schauspieler von dieser Sprache nicht tragen lassen. Sonst ist man weit weg, fort!

STANDARD: Wäre nun nicht gerade die umgekehrte Herangehensweise an die "Penthesilea" denkbar: Man liefert sich dem erzenen Ton dieser Sprache sozusagen mit Haut und Haaren aus? Und trifft gerade dadurch das pathologisch Dröhnende des Stoffes?

Eckert: Das wäre ein interessanter Gedanke, dem Penthesilea-Regisseure wie Ruth Berghaus auch nachgegangen sind – damals, vor rund 15 Jahren an der Burg. Bei unserer Unternehmung wird eher das Gegenteil versucht: die Figuren zu "erden", sie uns nahe zu bringen. Man könnte das auch anders, ganz "formal" lösen. Da bin ich sicher.

STANDARD: Hat der arme Dichter und Selbstmörder Heinrich von Kleist (1777–1811), dem "auf dieser Welt nicht zu helfen" war, nun etwas von der Psychologie der Frauen verstanden – oder nicht?

Eckert: Da bin ich mir nicht sicher. Kleist, dessen Lebensgeschichte ich ein bisschen kenne, hat eher wenig von Frauen gewusst – oder erfahren. Aber über das Problem der Gefährlichkeit von Nähe hat er wohl Bescheid gewusst. Ist das ein Frauenproblem? Bei uns ist es vielleicht virulenter.

STANDARD: Aber dass man sich die Annäherung zwischen den Geschlechtern nur als Krieg denken kann? Stimmt vielleicht diese Feststellung: Kleist hat vom Krieg mehr verstanden als von der Liebe? Das ist doch schauerlich. Wie das Käfergewimmel, wenn man einen Ziegelstein hochhebt.

Eckert: Aber besagtes "Gewimmel" verspüren Männer und Frauen doch auch heute. Das hat mit uns zu tun: Die Schwierigkeit, sich in seiner ganzen Verletzlichkeit, Erbärmlichkeit und Kleinheit zu zeigen, wenn alle "Rüstungsteile" abgelegt sind. Nichts ist schwieriger, als seine Wirklichkeit zu akzeptieren. Man baut sich gegenseitig Podeste, von denen man sich dann herunterstürzen muss.

STANDARD: Man hört, Sie wollen demnächst wieder als Dokumentarfilmerin arbeiten?

Eckert: Ein Film wird von dem Schauspieler Walter Schmidinger handeln, den ich zutiefst verehre. In dem anderen geht es um Konrad Katzenellenbogen – einen Juden, der sofort nach Hitlers Machtergreifung emigriert ist. Er war in Amerika Privatsekretär von Thomas Mann, kam zurück als Besatzungsoffizier und war bei den Nürnberger Prozessen anwesend. Seine Autobiografie, die vom Zerbrechen seines Lebens handelt, hat mich zutiefst berührt. Ich würde gerne mit ihm ein Gespräch führen – er lebt noch, 92-jährig. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2004)