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STANDARD: Wer regiert denn nun die Schulen wirklich?

Schratz: Die Schülerinnen und Schüler. Fest verwurzelte Vorstellungen von Schule und Unterricht passen aber weder in unsere Zeit noch zu unseren Kindern. Gesellschaftspolitisch wird die Frage immer virulenter, wie Letztere möglichst lang in der Schule "gehalten" werden können.

STANDARD: Wie sollten daher die Schulen regiert werden?

Schratz: Aus Lehranstalten müssen lernende Organisationen werden. Direktoren sind keine Dorfkaiser mehr, die Schulen "regieren", sondern Dirigenten, die das Gesamtensemble heterogener Ansprüche (Politik, Lehrer, Eltern, Schüler, Gemeinde, Wirtschaft, Kirche) orchestrieren. Mit Sensibilität, Bereitschaft zu Kreativität, Querdenken und Professionalität, Mut zum Erproben von Neuem, Gelassenheit, Zeit zur Reflexion.

STANDARD: Sie nannten die bisherige Direktorenausbildung eine "Komfortzone". Will heißen, mit dem richtigen Parteibuch reist es sich ganz bequem an die Spitze einer Schule?

Schratz: Dieses Denken ist in der Tat noch vielfach vorhanden - ein österreichspezifisches Phänomen, das mit den geringen Aufstiegsmöglichkeiten im Schulbereich zu tun hat: Wenige können Schulleiter werden, noch weniger Inspektor. Dieser Karriere-Flaschenhals schafft Abhängigkeit, wenn man 30, 40 Jahre in derselben Position arbeitet - mit minimaler Perspektive auf berufliche Veränderung.

STANDARD: Bei Direktorenbestellungen mischen noch immer Proporz-Kollegien mit. Schratz: Die parteipolitische Obhut über Besetzungen von Führungsjobs in Österreichs Schulen ruft im internationalen Kontext immer wieder Verwunderung, Staunen und Kopfschütteln hervor. Die gesetzlichen Vorgaben entsprechen dem anachronistischen Denken der verstaatlichten Industrie. Bestgeeignet heißt im Schulbereich noch immer "lang gedient". Das schafft Abhängigkeit von Personen und Traditionen.

STANDARD: Sie kritisieren, dass "Hochdienen" in politischen Ämtern auch als Auswahlkriterium für Direktoren gilt, und setzen "Objektivierung" selbst unter Anführungszeichen. Klingt mehr als skeptisch.

Schratz: "Objektivierung" ist in der Tat ein heikles Thema, denn "die" Objektivität gibt es ja nicht. Wie immer wieder argumentiert wird, sollten einschlägige Aktivitäten wie Mitarbeit in Vereinen, sozialpolitisches Engagement etc. bei Bewerbungen nicht Ausschlussgründe sein, aber auch nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr sollte die Sicht möglichst vieler "Stakeholders" (Anspruchsberechtigter, Anm. d. Red.) berücksichtigt werden. Derzeit werden sie gehört, aber selten berücksichtigt. Dies führt vielfach zu Unzufriedenheit in Besetzungsverfahren. Die Leitung einer Schule hat nicht zuletzt mit vielen unterschiedlichen, oft unvereinbaren Ansprüchen zu tun, dabei ist parteipolitische Hörigkeit hinderlich.

STANDARD: Sollten Direktoren nur auf Zeit bestellt werden?

Schratz: "Lebenslänglich" ist immer problematisch, gerade in Führungspositionen, denn Routine stumpft ab und macht blind. Ich bin für keine fixe Ablaufzeit, aber für eine Dynamisierung der Übernahme von Leitungsaufgaben. Leadership ist kein Soloakt, sondern eine soziale Aktivität. Erfolgreiche Führung ist immer Shared Leadership, geteilte Führung. (DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.9.2004)