Gilles Jobin und die Tänzer des Genfer Grand Théâtre über die Demütigung des Körpers.

Foto: Ballet du Grand Théâtre de Genève
Der aus der Schweiz stammende Choreograf Gilles Jobin macht keine netten Stücke. Seine sinistren und präzisen Arbeiten fordern seinen Tänzern außergewöhnlichen physischen und psychischen Einsatz ab. Sie sind von einer dunklen Schönheit, kühl komponierte Hochzeiten zwischen Eros und Thanatos, diagnostische Reflexionen des Menschlichseins am Rande seiner Verflüchtigung.

Mit seinem ersten Gruppenstück A+B=X, das ihm den internationalen Durchbruch verschaffte, war Jobin im April 1998 während des Festivals Tanzsprache im Wiener WUK zu sehen. Das TQW zeigt nun, nach Moebius Strip im Mai 2002, Jobins Werk mit 19 Tänzern des Ballet du Grand Théâtre de Genève, Two-Thousand-And-Three.

Das Bewegungskonzept dieses Stücks hat etwas Seuchenhaftes. Die Tänzerkörper werden zergliedert und wieder zusammengefügt, chaotisch gruppieren sich verkehrte Rümpfe mit wie ausgerenkt wirkenden Gliedmaßen. "Der Geist löst sich vom Körper", heißt es in einem Papier über diese Choreografie, "der zwischen Zerrissenheit und Bestrafung, Trennung und Multiplikation, Division und Reproduktion taumelt." In einer Welt voll träumerischer Leidenschaften verbinden sich "Phantasmen und Allegorien", Himmel und Hölle.

Was sich im Text etwas pathetisch ausnimmt, ist in der Wirklichkeit der Aufführung mehr als dunkle Romantik. Ein alchimistischer Umgang mit der Tänzerfigur als Metapher für die diskursiven Verzerrungen der menschlichen Gestalt in der gegenwärtigen Gesellschaft ist bei Jobin nicht zu leugnen. Ebenso wenig der atmosphärische Zauber von Licht und Musik. Doch in den unheimlichsten Momenten, wenn Körper demütigend über den Boden geschleift werden, dringt das politische Potenzial dieser Choreografien am deutlichsten durch.

Über das Obszöne

Bilder von Misshandlungen gehören zu unserem alltäglichen Medienfutter, zu den makabren Menüs, die täglich von fäkalischen Fernsehküchen als Infotainment, Politainment und Entertainment aufgetischt werden. In diesem Sinn kennt Jobin keinen Spaß.

In seinen Stücken werden die katastrophischen Ödeme der Gewalt in den Gegenwartsgesellschaften weder weggelacht noch zu Fetischen stilisiert. Arbeiten wie Moebius Strip oder auch Under Construction legen reflexive Raster über die nekrotischen Partien der Politik. Schweigend beugen sich die Tänzer den Gesetzen der Scham im steten Strom der Schändlichkeiten, der von Menschen über ihresgleichen geleitet wird.

Mit grausamer Genauigkeit organisiert Jobin seine Spiele über das Obszöne, das Verschwinden des Respekts vor dem Recht des anderen auf seine Würde. Politischer kann Kunst gar nicht sein. (SPEZIAL/DER STANDARD, Printausgabe, 14.9.2004)